Drittes
Kapitel.
Die
Architektur
bis
gegen
1250.
schon die sittlichen Zustände Italiens lassen vermuthen, dass die
künstlerische Begabung der Nation nicht grade eine überwiegend
architektonische sein konnte. Die Architektur verlangt Gemein-
sinn, Hingebung, eine gläubige, verehrungsvolle Stimmung; sie
gedeihet daher überall nur in der Jugendzeit der Völker und ver-
liert ihre schöpferische Kraft, sobald das persönliche Selbstgefühl
der Einzelnen herangereift ist. Die Italiener aber begannen ihre
historische Laufbahn mit der egoistischen Zersplitterung, in der
andere Völker enden, und selbst das durchgeführte republikanische
System diente nur dazu, die individuelle Kraft zu regeln und zu
bewusster Virtuosität auszubilden", nicht sie dem Gemeinwesen
bleibend zu unterwerfen. Auch in der Kunst sind sie daher vor-
zugsweise auf das Individuelle angewiesen, auf die Auffassung
und Darstellung des Einzellebens; für die Architektur fehlte ihnen
sowohl der Gegenstand, die begeisterte Anschauung des Gemein-
wesens, als auch die Fähigkeit sich uuterzuordnen und zu einer
Gesammtarbeit zusammenzuschliessen. Sie sind vor Allem Pla-
stiker und betrachten auch die Architektur zunächst von diesem
Standpunkte, nicht als ein gemeinsames, auf harmonische Ge-
sammtwvirkung berechnetes Werk, sondern als eine Gelegenheit
zu individuellen, plastisch-decorativen Leistungen.
Es ist daher begreiflich , dass sie keinen eignen Baustyl im
höheren Sinne des Wortes, Wie es der griechische gewesen war
und der gothische der nordischen Völker grade jetzt wurde, er-
zeugten; sie hatten dafür Weder Sinn noch Bedürfniss. Aber den-
noch haben ihre Bauwerke eine gewisse Eigenthümlichkeit, ge-
meinsame, wiederkehrende Vorzüge, ein nationales Gepräge, das