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Italien
im
XIV.
Jahrhundert.
Die meisten Städte, selbst die sonst so klugen und nüchterner:
Florentiner, gingen auf seine Ideen ein, schickten ihm Hülfstruppen
und ehrenvolle Deputationen zu jener abenteuerlichen Ritterweihe,
und Petrarca, der ihn als einen zweiten Brutus und Carnillus , ja
als grösser wie beide pries, verwendete sich für ihn mit der gan-
zen Autorität seiner Rede und suchte ihn selbst da noch aufrecht
zu erhalten, als seine Handlungsweise schon längst das Maass
des Verständigen weit überschritten hatte.
Dennoch hatte dieser Enthusiasmus keine bleibenden Folgen.
In Rom selbst erlosch er, sobald der Tribun mehr Geld brauchte
und höhere Steuern erhob, und ausserhalb des Gebietes der ewigen
Stadt wurde nicht einmal der Versuch zur Durchführung der von
ihm angeregten Gedanken gemacht. Man schwärmte für ein
ziemlich" unklares Ideal von republikanischer Freiheit und von der
Grösse eines einigen Italiens unter der Leitung Roms, liess sich
aber aus Bequemlichkeit und aus materiellen Rücksichten die
Herrschaft der kleinen Tyrannen und die Zersplitterung des Lan-
des gefallen.
Es ist klar, dass dieses Schwanken zwischen einem politi-
schen Ideale, zu dessen Durchführung man kein Opfer bringen
wollte, und einer ganz andern Wirklichheit sittlich entnervend
wirken musste. Der lokale Patriotismus und die sittlichen An-
schauungen des XIII. Jahrhunderts behielten zwar noch eine ge-
wisse Macht, aber nicht mehr die einigende Kraft; der Gemein-
sinn schwand daher und es begann eine neue Isolirung der Indi-
viduen, die sich nun freilich nicht mehr als wilde Anarchie, sondern
in den Formen eines civilisirten Egoismus äusserte. Besonders
wuchs die sinnliche Genusssucht, die schon in der im XIII. Jahr-
hundert ausgebildeten Sentimentalität einen Anfangspunkt hatte
und durch den Verfall der strengeren republikanischen Sitte, durch
den Reichthum und Luxus der bürgerlichen Klassen, die Ueppig-
keit der Höfe, und das wilde Glücksspiel des Soldatenlebens ge-
steigert wurde. Leichtsinn und Frivolität wuchsen daher gewal-
tig und fanden in antiken Vorbildern, besonders in den üppigen
Schilderungen gewisser lateinischer Dichter, eine Art von Berech-
tigung unverhüllten Auftretens. Wie Weit diese Lascivität in der
neu aufblühenden italienischen Literatur schon in der Mitte des