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Italien
im
XIV.
Jahrhundert.
ltalien, das, einst die Herrin der Provinzen, jetzt nur das Buhlhaus
fremder Völker sei, wirkten nun auf Unzählige anregend, und
keiner, der die Kraft des Sanges fühlte, unterliess, sich in solchen
Klagen zu versuchen. Dazu kam, dass die neue, lebendigere
Sprache auch einen neuen, allgemeinen Patriotismus erzeugte. S0
lange der Dialekt, den man sprach, kaum in der Nachbarstadt
verständlich war, konnte man zweifeln, 0b es eine italische Nation
gebe, welche das Erbrecht an römische Grösse geltend machen
könne. Jetzt hatte man in der wohlklingenden Sprache, die von
Sicilien bis zu den Alpen gesungen wurde, den thatsächlichen
Beweis, dass diese Einheit nicht eine veraltete Sage, sondern trotz
der politischen Zersplitterung noch eine geistige Wahrheit sei.
Und selbst in dieser Zersplitterung fand eben so Wohl dieser neue
Patriotismus wie die Liebe zum Alterthume Nahrung. In einem
grossen mächtigen Staate würden die neubegründeten Verhält-
nisse die antike Reminiscenz verdunkelt und in den Hintergrund
gedrängt haben; in den gährenden Znständelrso vieler kleiner
Territorien erhielten die Hergänge nur durch die Vergleichung
mit antiken eine Bedeutung. Zwar hatte der republikanische Sinn
schon viel an seiner praktischen Kraft verloren, und schon spielten
mächtigere Fürsten und kleine Tyrannen die Hauptrolle im ge-
schichtlichen Leben Italiens. Aber auch dafür bot die alle Ge-
schichte Analogien. Diese Tyrannen und Condottieri erinnerten
an römische Imperatoren, ihre WVaßentltaten an antike Schlachten,
ihre Hoffeste gaben den Gelehrten und Poeten erwünschte Ge-
legenheit, antike Triumphe oder mythologische Hergänge in
Scene zu setzen, und selbst das republikanische Gefühl, das in
solcher Unterdrückung fortglimmte und oft in Verschwörungen
ausbrach, fand in der antiken Welt Beispiele und Worte für seinen
Hass gegen die Unterdrücker der Freiheit.
Dante war einer der ersten gewesen, der die Verehrung des
Alterthums in den Tönen der Vulgärsprache geltend gemacht
hatte; aber schon seine nächsten Nachfolger gingen weit über
ihn hinaus. Für ihn ist die Antike, wenn auch Italiens eigne
Vergangenheit, doch nur wie die alttestamentarische Geschichte
eine vorbildliche, auf das Christenthum hinweisende Zeit. Schon
Petrarca, obgleich guter Christ und Geistlicher, betrachtet das Alter-