Scholastische
Wissenschaft.
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Schriftsteller und aus unvollkommenen Beobachtungen gesam-
melten Notizen des inneren Zusammenhanges entbehrten, desto
mehr hatten sie den Schein des Geheimnissvollen und Wunder-
baren. Dazu kam, dass alle jene abergläubischen Wünsche, die
Zukunft zu erfahren oder durch geheime Mittel in eigne und
fremde Schicksale einzugreifen, durch die Verhältnisse noch mehr
angeregt Wurden, und endlich, dass die Gelehrten bei ihrer Be-
rührung mit dem steifen Ceremoniell der Höfe sich auch ihrerseits
mit prunkhaften, imponirenden Formen umgeben und in solchen
äussern zu müssen glaubten. Nicht bloss Astrologen, sondern
auch Aerzte und Rechtsgelehrte traten daher mit einem Pomp und
einer Charlatanerie auf, die von tiefer blickenden Männern ver-
geblich verspottet wurde, und ihre Reden liessen ganz ebenso wie
bei den andern Nationen den schwerfälligen Takt des Syllogis-
mus durchhören.
YVährend aber so die scholastischen und romantischen Be-
grilfe eine Hinneigung zu den andern Nationen bewirkten, wuchs
gleichzeitig bei den Italienern ihre Vorliebe für das Alterthum und
damit das Gefühl ihrer Sonderstellung in der abendländischen
Völkerfamilie. Die Ausbildung der Vulgärsprache schien zu-
nächst ein Act der Befreiung und Constituirung der neuen christ-
lichen Nation, die sich dadurch von ihrer heidnischen Vorzeit ab-
löste. Das Latein verlor den Schein der noch geltenden und trat
in die Stellung einer todten Sprache, ähnlich wie bei den andern
Nationen. Allein dieser Tod war vielmehr ihre Verklärung. In-
dem sie aufhörte, dem gemeinen Verkehr zu dienen, wurde sie
selbst von den Barbarismen, die sich ihr angehängt hatten, winde
die ganze Vorstellung antiker Zustände von der Mischung mit
spätern Einrichtungen und Begriffen gereinigt, und das Alterthum
erst jetzt in seiner ganzen Schönheit und Grösse erkannt. Grade
diese Trennung gab erst den richtigen Standpunkt zur Würdigung
und erhöhete die Sehnsucht nach dieser grossen Vorzeit. Bisher
hatten nur die Gelehrten in lateinischen, dem Volke fremden
Versen diese Sehnsucht ausgesprochen; sobald die Vulgärsprache
sich frei bewegen konnte, lieh sie gerade diesem Gefühle und dem
Ruhme dieser glorreichen Vorzeit die glühendsten, Allen verständ-
lichen Worte. Dante's prachtvolle Verse von dem geknechteten