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Italien
im
XI V.
Jahrhundert.
Dinge, um die Freiheit, die Aufrechthaltung guter Sitte und einer
diese fördernden Verfassung, um die Grenzen und das Gleichge-
wicht der beiden leitenden Gewalten der Christenheit; und das
Bewusstsein dieser grossen Aufgaben hielt die Gemüther im
Ganzen vom Gemeinen und Kleinlichen zurück. Man durfte glau-
ben, dass man stets nahe daran stehe, das Richtige zu erreichen,
dass die Schuld nur'an den Sünden und Schwächen Einzelner,
der Herrschenden und Gehorchenden, läge, dass bessere Einsicht
und grössere Energie bei jenen, besseres Beispiel bei diesen die
erwünschten Zustände herbeiführen könne. Dante durfte hoffen,
dass _das strafende und ermuthigende Spiegelbild, das er der
Nation verhielt, dazu beitragen werde. Und diese schien solche
Hoffnung zu theilen; die Verehrung, die dem verbannten, in der
Fremde gestorbenen Dichter zu Theil wurde, die bis dahin uner-
hörte Begeisterung, die sein Gedicht erweckte, der Gedanke, einen
Öffentlichen Erklärer desselben anzustellen, deuten darauf hin.
Allein diese Hoffnung war eitel. Dante sollte nur der Ab-
schluss des schönsten Theils der italienischen Geschichte, nicht der
Anfang einer neuen, glücklicheren Zeit sein. Noch vor seinem
Tode traten Ereignisse ein, welche die Lage der Dinge für das
sittliche Leben Italiens ungünstiger gestalteten. Es hörte auf, der
Schauplatz des grossartigen Kampfes zwischen dem Kaiserthum
und Papstthum zu sein. Die Päpste, jetzt in Avignon residirend,
betrachteten Italien wie die andern Länder nur als eine Quelle
ihrer Einnahmen, die Kaiser waren in Deutschland durch innere
Kämpfe oder mit ihren Interessen als Landesfürsten vollauf be-
schäftigt. Seit dem Tode Heinrichs VII. machte keiner seiner
Nachfolger einen ernstlichen Versuch, die kaiserliche Herrschaft
in Italien herzustellen. Die Römerzüge Ludwigfs des Baiern und
KarPs IV. waren auf Geldgewinn oder Prunk abgesehen und
Wurden von den italienischen Machthabern nur für ihre Sonder-
interessen ausgebeutet. Der Gegensatz der Guelfen und Ghibel-
linen verlor daher selbst den Schein früherer Bedeutung und wurde
nur Vorwand und Mittel ehrgeiziger Staatslenkcr, ihre Macht
über weite Districte auszudehnen. Schon im XIII. Jahrhundert
hatte der Parteikampf in einzelnen Städten eine solche Höhe er-