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Italien
im
XIII.
Jahrhund ert-
zornigen Eifer, und dann wieder eine Liebeswärme und XVeich-
heit bis zur widerstandslosen Eingebung, so erhalten wir das
Bild einer leidenschaftlichen, leicht bestimmbaren Persönlichkeit,
wie sie uns auch in der italienischen Geschichte des XIII. Jahr-
hunderts so zahlreich begegnen. Dante hat also sein Ideal nicht
aus seiner Phantasie oder aus irgend einer Theorie, sondern" aus
dem Leben seiner Nation genommen; er giebt dafür meistens
historische Beispiele, die er mit grosser Treue nach bester Kennt-
niss zeichnet. Seine „edle Seele" ist eben die kräftige, leidenschaft-
liche Natur des Italieners, aber gerichtet auf edlere Zwecke. Er
steht ganz auf dem Standpunkte der nationalen Anschauungen,
aber er sucht sie zu berichtigen und zu leiten. Eine Stelle seines
Gedichtes ist in dieser Beziehung characteristisch. Er eifert
darin gegen gewisse Philosophen, welche von der Seele wie von
einer dreifachen sprechen, indem sie das Vegetative, Sensitive
und Geistige in ihr sondern, und behauptet dagegen ihre voll-
kommene Einheit. Es ist das ein blosser Schulstreit, und seine
Ansicht nicht einmal eine neue, sondern im Wesentlichen die des
Thomas von Aquino. Aber sein Eifer für diese Lehre, die Art,
wie er sie vertheidigt und die Schilderung, die er dabei von der
Seele giebt, wie sie in Lust oder Schmerz von einem Gegenstande
ergriffen, für Alles andere unempfinglich sei und selbst die Ein-
wirkung andrer Kräfte nicht fühle ist characteristisch für ihn
und das sittliche ldeal seiner Landsleute. Das ist die Weise,
welche sie lieben, welcher sie Aufmerksamkeit und Bewunderung
zollen und ihr schwere Sünden nachsehen, diese Einfachheit der
Seele, die sich ganz hingiebt, ganz in der Empfindung, dem Be-
gehren des Augenblickes aufgeht, demselben alles opfert. Es ist
1') Purgat. IV. 1:
Sobald, sei es in Freuden oder Leiden,
Die unsrer Fähigkeiten ein" ergreifet,
Die Seele sich allein in dieser sammelt,
So merkt sie, scheint es, sonst auf keine Kraft mehr.
Und solches widerspricht der irrigen Meinung,
Dass mehr als eine Seel" in uns erglühe.
Drum wenn der Mensch ein Ding Sieht oder hÜrßf,
Das mächtig hält die Seel" an sich gefesselt,
S0 geht die Zeit dahin und er verspürfs nicht.