Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

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Italien 
im 
XIII. 
Jahrhund ert- 
zornigen Eifer, und dann wieder eine Liebeswärme und XVeich- 
heit bis zur widerstandslosen Eingebung, so erhalten wir das 
Bild einer leidenschaftlichen, leicht bestimmbaren Persönlichkeit, 
wie sie uns auch in der italienischen Geschichte des XIII. Jahr- 
hunderts so zahlreich begegnen. Dante hat also sein Ideal nicht 
aus seiner Phantasie oder aus irgend einer Theorie, sondern" aus 
dem Leben seiner Nation genommen; er giebt dafür meistens 
historische Beispiele, die er mit grosser Treue nach bester Kennt- 
niss zeichnet. Seine „edle Seele" ist eben die kräftige, leidenschaft- 
liche Natur des Italieners, aber gerichtet auf edlere Zwecke. Er 
steht ganz auf dem Standpunkte der nationalen Anschauungen, 
aber er sucht sie zu berichtigen und zu leiten. Eine Stelle seines 
Gedichtes ist in dieser Beziehung characteristisch. Er eifert 
darin gegen gewisse Philosophen, welche von der Seele wie von 
einer dreifachen sprechen, indem sie das Vegetative, Sensitive 
und Geistige in ihr sondern, und behauptet dagegen ihre voll- 
kommene Einheit. Es ist das ein blosser Schulstreit, und seine 
Ansicht nicht einmal eine neue, sondern im Wesentlichen die des 
Thomas von Aquino. Aber sein Eifer für diese Lehre, die Art, 
wie er sie vertheidigt und die Schilderung, die er dabei von der 
Seele giebt, wie sie in Lust oder Schmerz von einem Gegenstande 
ergriffen, für Alles andere unempfinglich sei und selbst die Ein- 
wirkung andrer Kräfte nicht fühle  ist characteristisch für ihn 
und das sittliche ldeal seiner Landsleute. Das ist die Weise, 
welche sie lieben, welcher sie Aufmerksamkeit und Bewunderung 
zollen und ihr schwere Sünden nachsehen, diese Einfachheit der 
Seele, die sich ganz hingiebt, ganz in der Empfindung, dem Be- 
gehren des Augenblickes aufgeht, demselben alles opfert. Es ist 
1') Purgat. IV. 1: 
Sobald, sei es in Freuden oder Leiden, 
Die unsrer Fähigkeiten ein" ergreifet, 
Die Seele sich allein in dieser sammelt, 
So merkt sie, scheint es, sonst auf keine Kraft mehr. 
Und solches widerspricht der irrigen Meinung, 
Dass mehr als eine Seel" in uns erglühe. 
Drum wenn der Mensch ein Ding Sieht oder hÜrßf, 
Das mächtig hält die Seel" an sich gefesselt, 
S0 geht die Zeit dahin und er verspürfs nicht.
	        
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