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Abendländische
Baukunst
diese Consequenz demnächst auf das Mutterland zurückgewirkt
und auch hier die durchgängige Anwendung dieses fügsamen
Bogens gefördert habe. Nur freilich darf man dabei nicht ver-
gessen, dass der Spitzbogen nur ein Element, aber keineswegs
das Wesentlichste des gothischen Styles ist, und dass mithin
dieser Hergang für die längst widerlegte, aber immer wieder auf-
tauchende Hypothese des orientalischen Ursprungs der gothischen
Baukunst nicht geltend gemacht werden kann.
Das Interesse dieser vorübergehenden Uebnng fränkischer
Kunst im Oriente besteht übrigens bloss in der Beziehung zum
Mutterlande ; für die Einheimischen selbst ging sie, vielleicht
mit Ausnahme vereinzelter fast zufälliger Nachahmungen, spurlos
vorüber
Wie Palästina zeigen auch die in Folge der Kreuzzüge unter
fränkische Herrschaft gerathenen Inseln die Spuren abendländi-
scher Bauthätigkeit. Die Kirchen von C ypern , das erst 1191
von Richard Löwenherz erobert wurde, gehören schon sämmtlich
dem entwickelten gothischen Style an, und tragen fast nur durch
den Mangel des Daches einen südlichen Charakter. Die Kathe-
drale von N icosia (1209-1228) ist eine frühgothische franzö-
sische Anlage mit dreischifügem Langhause, Kreuzarmen, dem
Chor mit einem Umgange, mit zwei Thürmen an der Facade, im
Innern mit hohen, spitzbogigen Arcaden, Triforien und grossen,
getheilten Fenstern; die von Famagosta (1311) ähnlich, mit
besonders reich ausgestatteter Facade, die Kirche der Prämcn-
stratenserabtei Lapais von einer Eleganz, die an St. Ouen in Rauen
erinnertw).
Auch auf der Insel Rhodus herrschte, während sie im Be-
sitze des Johanniterordens war (1309-1522), französische Go-
"j De Voguö will an maurischen Bauten zu Jerusalem und Damascus,
die lange nach den Kreuzzügen, vom Ende des XIV. bis zu dem des
XVI. Jahrhunderts, entstanden sein sollen, einen günstigen Einfluss dieser
fränkischen Monumente bemerkt haben, der oft bis zu täuschender Nach-
ahmung geht, oft sich nur in geschickterer Anwendung des Bogens und
ähnlichen technischen Vorzügen äussert.
"Ü Vgl. de Vogue a. a. O. und besonders Mr. de Mas-Latrie in den
Arehives des missions scientiüques I. p. 502 und Cassas, Voyage en Syrie
III. p]. 194.