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Italien
im
XIII.
Jahrhundert.
die mittlere Region des Danteschen Charakterbildes; denn wenn
auf der einen Seite die Tugendstrenge sich bis zu eifrigem Zorn
steigert, sehen Wir andrerseits Züge der äussersten VVeichheit
und Zartheit des Gefühls, fast bis an die Grenze der Weichlich-
keit und Sentimentalität, mit entschiedener Vorliebe geschildert.
Und zwar betrachtet Dante diese beiden Eigenschaften nicht etwa
als entgegengesetzte und daher nur bei verschiedenen Individuen
denkbare, sondern als sehr wohl vereinbare. Er selbst vereinigt
sie; denn während er in so vielen Stellen sich mit äusserster
Strenge und mit dem zornigen Eifer ausspricht, den Virgil an
ihm lobt, schildert er sich in andern als ein Gemüth von eben so
weit gehender, leidenschaftlicher VVeichheit. Das Mitleid nicht
bloss mit den Qualen, die er ansieht, sondern auch mit den Leiden,
die er nur erzählen hört, ist so stark, dass es ihn überwältigt,
fast tödtet; wiederholt sinkt er „zu Boden hin wie ein Entseelter".
Seine Schilderung der Gräuel in Ugolin0's Kerker gehört zu dem
Ergreifendsten, was je geschrieben ist, die Meisterschaft, mit der
er gewusst hat, den Leser in die ganze Tiefe der Schmerzen
blicken zu lassen, ist bewundernswerth. Aber es ist doch nicht
zu verkennen, dass der kunstreiche Farbenauftrag darauf be-
rechnet ist, den Leser zu erweichen, ihn den Kelch der Rührung
bis auf den Boden leeren zu lassen. Man braucht diese Schilde-
rung nur mit denen der antiken Tragödie zu vergleichen, die das
Leiden auch eben nicht mit schwachen Farben zu malen pflegt,
um sich davon zu überzeugen. Ja selbst bei der Schilderung der
Höllenqualen fühlt man es immer durch, dass neben dem warnen-
den Ernst auch die Absicht zu rühren die Feder des Dichters ge-
leitet hat. Noch viel stärker wie im Mitleid zeigt sich dann die
Empfänglichkeit und Weichheit des Gemüthes in der Liebe.
Man Würde nicht fertig werden, alle die Züge, die dies bestätigen,
aus Dante's Gedichten zu sammeln; die ganze vita nuova ist eine
Kette der zartesten Erregungen. Jedes Wölkchen , das einen
Augenblick die Geliebte beschattet, ruft in der Brust des Dichters
eine Welt von Schmerzen hervor, jeder Blick, den er erhascht,
erfüllt sie mit einer VVonne, die in den reichsten Accorden lange
nachtönt. Und noch im Paradiese ist es Beatrieäs Lächeln,
das, stets mit neuen Aeusserungen des Entzückens geschildert,