Palästina.
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Die schmale Spitze , mit der Dalmatien zwischen dem adria-
tischen Meere und den steilen Höhen von Montenegro ausläuft,
ist der äusserste südöstlichePunkt des grossen Gebietes, in dem die
abendländische Kunst Wurzel gefasst hat und national geworden
ist. Allein weit jenseits dieser Grenze im Orient finden wir noch
Stellen, an welchen sie Wenigstens vorübergehend geherrscht und
Werke hinterlassen hat, welche unsere Aufmerksamkeit in An-
spruch nehmen. Zunächst ist Palästina und vor Allem Jeru-
salem zu nennen, das aus der Zeit der Kreuzfahrer ausser un-
zähligen, ganz vereinzelten Spuren ihrer Bauthätigkeit noch eine
Zahl trotz aller Verwüstung und Vernachlässigung besser erhal-
tener oder doch erkennbarer Gebäude abendländischen und zwar,
wie das Königreich Jerusalem selbst, überwiegend französischen
Styls besitzt, die neben dem Geschichtlichen auch ein grosses
kunsthistorisches Interesse erwecken d). Dies unter Anderm da-
durch, dass sie den unglücklichen Schicksalen jener abendländi-
schen Colonie ein festeres Datum verdanken, als die meisten Bauten
des Abendlandes in Anspruch nehmen können.
In Jerusalem selbst beschränkt sich die abendländische Bau-
thätigkeit, abgesehen von wenigen kleineren Kapellen und Privat-
stiftungen, die auch später von abendländischen Händen ausge-
führt wurden, auf die kurze Zeit von der Eroberung der Stadt
im Jahre 1099 bis zu ihrer Einnahme durch Saladin im" Jahre
1187. Denn unter dem Drucke, dem die Christen nun unterlagen,
fehlten ihnen der Muth und die Mittel zu grösseren Unterneh-
mungen, und die ihnen durch Friedrich II. WiederverschaHte
Freiheit (1229-1240) War zu kurz und zu gefährdet, um
Dauerndes zu leisten.
Ohne Zweifel begannen die Kreuzfahrer ziemlich bald nach
der Besitzergreifung nicht bloss Burgen, sondern auch Kirchen zu
bauen, indessen fällt der erste monumentale Bau, der uns bekannt
ist, schon in eine etwas spätere Zeit. Es ist dies der Anbau an
die Rotunde des heiligen Grabes, durch welche dieselbe zur
"j Wissenschaftlich genügende Kenntniss dieser Bauten haben wir erst
durch das Werk des Grafen Melchior de Vogud, les äglises de la. ten-e
sainte, Paris 1860, erlangt.