Polen.
659
Dasselbe gilt von den russischen Ostseeprovinzeil,
Welche seit dem XIII. Jahrhundert von Deutschen im politischen
Zusammenhange mit dem deutschen Orden beherrscht, in ihren
Kirchen und Schlössern sich an die preussische Bauweise an-
schlossen.
Polen war zwar schon sehr viel früher zum Christenthume
bekehrt, aber es dauerte lange, ehe die Kirche einen civilisirenden
Einfluss gewann, und auch da zeigte sich, dass dem übrigens in
mancher Beziehung begabten Volke der architektonische Sinn in
höchstem Grade fehlte. Schon Tacitus bemerkt von den Sarmaten
im Gegensatze gegen die Häuser bauenden VVenden. dass sie nur
im Vvagßll und zu Pferde lebtenii), und diese Schilderung passt
noch heute trotz des Jahrhunderte langen Besitzes eines acker-
bauenden Landes auf den polnischen Adel. Noch immer ist für
die Mehrzahl desselben der Wagen die eigentliche Heimath, für
deren Schmuck und zweckmässige Einrichtung er Sorge trägt,
das Haus nur ein vorübergehendes Nachtquartier, dessen äussere
Gestalt ihm gleichgültig ist, dessen Erhaltung er selbst bei den
günstigsten Verhältnissen und der üppigsten Lebensweise zu ver-
nachlässigen pflegt. Nur die Schlösser des höchsten Adels und
auch diese erst in den letzten Jahrhunderten machen davon eine
Ausnahme. Es ist begreiflich, dass unter einem solchen Volke
auch die kirchliche Baukunst keinen bedeutenden und noch we-
niger einen eigenthümlichen Aufschwung nehmen konnte, dass
auch für die wenigen etwa von Fremden errichteten monumen-
talen Bauten der Sinn der Erhaltung fehlte, und dass daher die
gothischen Kirchen Polens fast durchgängig ohne litten-esse sind.
Selbst der Dom zu Gnesen, diese älteste Metropolitane Polens,
zu der schon Kaiser Otto III. wallfahrtete, lässt ausser der
ehernen Thüre, die ein merkwürdiges, wenn auch nicht gerade
vorzügliches Werk deutscher Kunst ist auf), nur noch den Umfang
des alten Gebäudes imd einige Reste seiner stattlichen Gestalt
erkennen.
Nur eine Stelle Polens macht eine Ausnahme, die alte Haupt-
und Krönungsstadt der polnischen Könige, Krakau, das mit
Ü) Tac. Germ.
w) S. oben Bd.
421