Rosslyn-Kapelle.
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Formen der gleichzeitigen Portale in England und Frankreich
unterscheiden. Man kann nicht behaupten, dass auf diesemWege
ein consequentes System entstand; die etwas schweren netz-
förmigen Rippen der Gewölbe und die kräftige Bildung der tra-
genden Pfeiler entsprechen den zierlichen Formen der Portale und
des Fenstermaasswerks nicht völlig. Die ganze Verfahrungsweise
hat vielmehr etwas Eklektisches, Individuelles, das aber den ein-
zelnen Monumenten eine gewisse Frische verleiht.
Die Kirche S. Giles in Edinburgh, grösstentheils aus dem
XIV. Jahrhundert, die Kathedrale von Dunkeld, die schon er-
wähnte Pfarrkirche in Linlithgow, die Ueberreste der Kathedrale
von St. Andrews, die Abteikirche von Pluscardine und endlich die
berühmte, wieder viel besungene Ruine von Melrose aus der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts sind die bedeutendsten Lei-
stungen dieser späteren schottischen Schule. deren Unabhängig-
keit von der englischen sich am Stärksten darin zeigt, dass der
Perpendicularstyl der letzten auf sie so gut wie gar keinen Ein-
fluss übte. Höchstens kann man in dem Maasswerke der kolos-
salen Ostfenster einen doch immer nur bedingten Anklang daran
finden, wie dies z. B. in Melrose der Fall ist. Dagegen steigerte
sich jener Individualismus in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts in einzelnen Fällen bis zur ausschweifendsten Willkür.
Den stärksten Beweis dafür giebt die oft genannte Kapelle von
Rosslyn, welche der reiche und mächtige Laird des Ortes von
1446 bis 1480 als Grabstätte für sich und seine Nachkommen
errichten liesstli"). Wenn er, wie erzählt wird, dazu Arbeiter aus
entfernten Gegenden kommen liess, so haben diese sich aller hei-
mischen Erinnerung entschlagen, denn dieser Bau hat nirgends
ein Vorbild, sondern ist ein abenteuerliches Gemisch verschiede-
ner spätgothischer Formen. Der vordere, aus vier Jochen beste-
hende Theil ist dreischiflig; das höhere Mittelschiff hat ein fort-
laufendes Tonnengewölbe, die SeitenschiHe aber sind mit eben
Solchen quergelegten Gewölben, die auf einem von dem Pfeiler-
kapitäl zur Wand gehenden Balken ruhen, gedeckt. Die Pfeiler
bestehen aus schweren, von dünnen Diensten oder von convexen
Pitg
g] Britton,
N0. 69.
Architectural
Antiquities,
V01. II.
Pßg- 47.
ChapllY