Zweites
Kapitel.
Die
Grenzgebiete
in
Norden
und
Osten.
Im VVesten setzte der Ocean der mittelalterlichen Kunst eine
unübersteigbare Schranke, an der sie, obgleich Wenigstens in
Frankreich in voller propagaudistischer Kraft, Halt machen musste.
Auf allen andern Seiten aber lagerten sich rings um die schöpfe-
risch vorangehenden Länder andere mehr empfangende. Es sind
dies meistens solche, welche erst später der abendländischen Kirche
und Civilisation gewonnen wurden und mit ihr auch die Kunst
aufnahmen, ausnahmsweise aberauch solche, welche, obgleich
frühe bekehrt, sich aus andern Gründen von dem Gemeinleben
des abendländischen Geistes fern hielten.
Dies ist der Fall in Irland. Im früheren Mittelalter eine
hervorragende Stätte christlichen Eifers und christlicher Gelehr-
samkeit, die Heimath so vieler Missionare, welche bekehrend und
lehrend durch Deutschland, Frankreich, selbst bis nach ltalien
zogen, aber doch keltischen Stammes, an die phantastischen For-
men seiner heidnischen Vorzeit gewöhnt, und bald mit dem be-
nachbarten England in feindlicher Spannung, vermochte es kaum,
sich den geregelten) romanischen Bau anzueignen, und noch we-
niger dem Aufschwunge des gothischen Styls zu folgen. Zwar
giebt es eine Zahl gothischer Kirchen auf der Insel, aber sie sind
von geringen Dimensionen und ohne Eigenthümlichkeitk), ohne
Zweifel Stiftungen der englischen Beherrscher des Landes, welche
schon als solche dem grollenrlen Volke keine Sympathien ein-
flössten
1) Kuglefs Gesch. d. Baukunst III. 202 ff. Da ich in diesem Kapitel
noch weniger als sonst mich auf eine vollständige Aufzählung der bekannt
gewordenen Monumente einlassen kann, freue ich mich die Leser, welche
eine solche suchen, ein für allemal auf die iieissige und kritisch geordnete
Zusammenstellung in diesem leider nicht über das Mittelalter hinausgeführten
letzten Werke Kuglefs verweisen zu können.