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Spanien.
dieser verwandten Züge ist die sittliche Richtung beider Völker
doch eine sehr verschiedene; jener Gegensatz zwischen Italien
und den ehemaligen Provinzen des Reiches, von dem ich früher
sprach, ist auch hier und zwar grade wegen dieser Aehnlichkeit
in gesteigertem Maasse vorhanden. Die Empfänglichkeit und
Begeisterung für die gcrmanisch-christlichen Ideen, deren Man-
gel den Italienern ihre Sonderstellung gab, ist bei den Spaniern
durch die beiden Völkern gemeinsamen Eigenschaften auf die
höchste Spitze getrieben. Während der Italiener vermöge seines
hohen Selbstgefühls sich isolirt, keine bleibend bindende Ver-
pliichtung begreift, nur den natürlichen Banden des Blutes , den
gemeinsamen localen Interessen eine gewisse Berechtigung ein-
räumt, während er für republikanische Freiheit schwärmt, und
ein Ideal allgemein menschlicher Grösse und Tugend vor Augen
hat, setzt der Spanier seinen persönlichen Stolz und seine Ehre
darin, nicht isolirt und unbedingt frei, sondern Mitglied einer der
grossen christlich germanischen Gemeinschaften, durch ihre
Pflichten und Gesetze gebunden zu sein. Er fühlt sich vor Allem
als Christ, Edelmann, Ritter, Vasall, als Spanier reinen Blutes,
sein Ehrgeiz geht dahin, sich als solchen zu bewähren und aus-
zuzeichnen. Er gehört nothwendig in eine aristokratische Mo-
narchie, in eine disciplinirte Ordnung, und behält selbst in den
höchst persönlichen Angelegenheiten, bei den Regungen des Her-
zens eine Beziehung zu den Regeln der Sitte und der Standes-
verhältnisse, deren häufige Ueberschreitung dann eine edle Tragik
erzeugt. Die Verbindung jener germanischen Ideen mit der Gluth
südlicher Leidenschaft giebt der spanischen Nationalität ihre
eigenthümliche Schönheit.
Die Entstehung dieses Gleichgewichts germanischer und
südlich romanischer Elemente hängt allerdings zunächst mit dem
langen und anhaltenden Kampfe gegen die Mauren zusammen,
Welcher die Christenheit zur Einheit nöthigte und Gothen und
Eingeborne innigst verband. Allein diesem Erfolge war doch
auch schon früher durch die Eigenthümlichkeit des Westgothischen
Stammes vorgearbeitet, welcher, indem er in seiner Bildungs-
fihigkeit und Empfänglichkeit für die Vorzüge römischer Cultur
die Sprache und manche gute und üble Sitten der Besiegten an-