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Sicilien.
pitäle mit grosser Leichtigkeit und Weichheit ausgeführt, die
Figürchen, welche dazwischen vorkommen, verrathen trotz man-
cher Unvollkommenheit ein durch die Anschauung antiker Plastik
genährtes Gefühl für Leben und Anmuth, besonders auch des
Nackten, in überraschender Weise. Der schlanke Osterleuchter
in der Capella palatina zu Palermo, der Kreuzgang am Dome zu
Monreale, beide aus normannischer Zeit, das rundbogige Portal
"in weissem Marmor zu Catania, einst am Dome, jetzt an der
Kirche del Santo Carcere, aus der Zeit Friedrichs lI., liefern da-
für glänzende Beweises-t), und besonders zeigen die zierlichen
Kapitäle an den fast zweihundert Säulen jenes Kreuzganges in
ihren stets wechselnden, theils historischen, theils mährchenhaft
phantastischen Darstellungen einen Reichthum der Erfindung und
ein Compositionstalent, dem es nur an Uebung und Gelegenheit
zu grösseren Arbeiten gefehlt zu haben scheint. Allein zu solchen
kam es eben nicht; Statuen oder grössere Reliefs aus der Zeit
der Normannen oder Hohenstaufen sind überall nicht nachzuwei-
sen, nicht einmal nachrichtlich aus den hier so ausführlichen Chro-
niken. Es ist, als ob eine byzantinische oder gar muhammedanische
Scheu der Plastik entgegen gestanden habe, und wenn man ihrer
einmal bedurfte, wie bei den beiden ehernen Thüren am Dome zu
Monreale, rief man Italiener vom Festlande herbei, Barisanus von
Trani und Bonaunus von Pisa. Als diese Scheu sich endlich im
XIV. Jahrhundert verlor und man, wie der Sarg Friedriclfs von
Antiochien (1- 1305) in der Krypta des Domes und die fast lebens-
grosse Madonna in S. Francesco zu Palermo ergeben, sich in
kleineren und grösseren Reliefs versuchte, fehlte es dazu so sehr
an aller Vorübung, dass die Meister, die man anwendete, dabei
die plastisch unbrauchbaren Formen der byzantinischen Malerei
in steifestei- Weise nachahmteniiäi). Bei diesem Zustande der
Plastik war es denn sehr begreiflich, dass der Erzbischof Gui-
dotto de Tarbiatis 1333) sich zu seinem in der Kathedrale von
Ü Vgl. Abbildungen bei Schulz, Unteritalien Tal". 69 und 74, bei
Serradifalco tab. 13, 14, bei Bittorf tab. 47, bei de Marzo II. S. 223 u. 273.
u] De Marzo II. S. 288 (mit Abbild.) und 291. Die liegende Gestalt
Friedrichß von Antiochien ist, wie de Marzo richtig anerkennt, ein viel
späterer Zusatz, etwa aus dem XVI. Jahrhundert.