Das
edle
Herz.
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Den einfachen, naiven Ausdruck wirklicher Liebe darf man
bei diesen Dichtern nicht vorzugsweise erwarten, sie streben gar
nicht danach, sondern nach etwas Höherem, und ergehen sich
daher auch gern in abstracten Gedanken, Allegorien und künst-
lichen Vergleichen. Dass sie dennoch höchst populär wurden,
erklärt sich zum Theil durch die Anziehungskraft, welche die
Worte: Liebe und Schönheit ausübten und durch den Ehr-
geiz, den schönen Seelen zngezählt zu werden, mehr noch aber
dadurch, dass diese ldealität dem innersten Wesen der Nation
znsagte. Die kühlere Stimmung nordischer Völker gestattete
ihnen, sich mit dem Gedanken einer zwar natürlichen, aber durch
edle Gesinnung gereinigten _Liebe zu befreunden; die stärkere
Leidenschaftlund Sinnlichkeit der Italiener forderte einen entschie-
denen Gegensatz, eine Idealität, die nichts mit der sinnlichen Liebe
gemein hat. Sie will lieber einer solchen Abstraetion sich mit
gleicher Leidenschaft hingeben, als von Mässigung hören
Es ist ein ähnlicher Gegensatz, wie der der Ascetik gegen die
Sinnlichkeit und daher ein mittelalterliches V erhältniss, aber doch
in einer Auffasstmg, welche, den übrigen Nationen fremd, in Ita-
lien eine nationale Berechtigung hatte und sich daher hier auch
noch über das Mittelalter hinaus erhielt.
Aber freilich doch nur mit einer beschränkten Geltung. Denn
selbst in dieser ihrer Ursprungszeit konnte die zum Grunde lie-
gende Theorie nicht unbedingt genügen. Obgleich mit christlichen
Elementen versetzt, stand sie doch dem Christenthum innerlich
entgegen. Die Tugenden der alma gentile vertragen sich nicht
völlig mit denen, welche das Evangelium fordert, und der Amor
dieser Dichtung war doch etwas sehr Verschiedenes von der Liebe,
die St. Paulus im Corintherbriefe beschreibt. Eben so Wenig aber ent-
sprach ihre künstliche Süssigkeit weder dem Sinne für das Kräftige
und Männliche und für nüchterneWahrheit, den die republikanischen
4'] Es ist" characteristisch, dass Guido Guinicelli, der erste dieser idealen
Dichter, von Dante im Purgatorio unter denen gefunden wird, welche die
Sünden sinnlicher Liebe abbüssen, und dass auch alle Historiker diesen
Vorwurf bestätigen. Petrarca hatte bekanntlich uneheliche Kinder, und
Dante war trotz seiner fortdauernden Liebe für Beatrice verheirathet und
Familienvater.