Einheimische
Plastik.
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Offenbar aber war dieser Mangel nicht bloss eine Folge des
Ungeschicks, sondern einer nationalen auf das Derbe, Volle, Uep-
pige gerichteten Neigung, welche die Bildner, so lange sie die
grössere Reinheit und Strenge toscanischer Form noch im Auge
hatten, lähmte und befangen machte, und es mochte daher wie ein
Fortschritt erscheinen, als im Anfange des XV. Jahrhunderts
einige Meister aufstanden, welche sich dieser nationalen Neigung
rücksichtslos hingeben, und im Gedrängten, Vollen, Bauschigen
recht eigentlich schwelgten. Es geschah dies dem Anschein nach
zuerst durch jenen Antonio Bamboccio von Piperno, dessen Por-
talschmuck am Domeund an S. Giovantti-a-Pappacoda schon oben
beschrieben ist, dann aber durch den etwas späteren Andrea Cic-
cione den Urheber der Gräber des Königs Ladislatis (1- 1414)?)
und des Seneschalls Caracciolo , beide in S. Giovantii-a-Carbo-
nara. Der Schönheitssinn dieser Meister ist nicht grösser als der
ihrer Vorgänger, die Köpfe sind auch bei ihnen breit und aus-
druckslos, die Körper kurz und plump, die Gewänder schwer und
Wulstig. Dazu kommt dann, dass sie die Schranken architekto-
nischer Ordnung, in denen jene sich hielten, durchbrochen haben;
ihre gothischeu Glieder sind bald schwerer und massiger, als es
die constructive Regel erfordert, bald mit phantastischer Willkür
ausschweifend keck und leicht gebildet, alle Räume mit Figuren
und Gruppen überfüllt, deren Umrisse in wogenden Linien wild
durcheinander rauschen. Aber alles dies ist in gewissem Sinne
die Consequenz jener sinnlichen Richtung, welche sich bei ihren
Vorgängern nur als schwerfällige Derbheit äusserte, nun aber, von
dem conventionellen Zwange architektonischer Regel befreit und
durch das Wachsende Naturgefühl gekräftigt, auch die Vorzüge,
deren sie fähig ist, entwickelt, an vereinzelten Gestalten den Reiz
naiver Lebenswahrheit erlangt und dem Ganzen eine, wenn auch
schwiilstige Poesie giebt. Dem Interesse höherer Kunst war da-
mit zwar nicht gedient, aber den Geschmack ihrer Landsleute
hatten diese Meister so sehr getroffen, dass ihre üppige Auf-
fassung sich fortan bei allen YVechseln des Styls immer wieder
geltend machte.
Schulz,
Taf.