Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

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Italienische 
Poesie. 
höchstens halbwahre Phrase der Courtoisie, vielleicht nur eine Ein- 
kleidung für eine ganz gewöhnliche Bewerbung. Diese Mischung 
von-Dichtung und VVahrheit war den Italienern unverständlich. 
In praktischen Dingen höchst nüchtern, in ihrer Begeisterung kühn 
und abstract, verlangten sie entweder ein einfaches bürgerliches 
oder sinnliches Verhältniss oder ein rein ideales. Mit der wirk- 
lichen Frau wie mit einem höhern Wesen zu verkehren, war 
ihnen unmöglich. Aber; andrerseits waren sie bei ihrer Empfäng- 
lichkeit für weibliche Schönheit, ihrer erregbaren Phantasie und 
leidenschaftlichen Stimmung sehr wohl fähig, sich dem Liebes- 
gefühle ganz hinzugeben, den Gegenstand, welcher dasselbe ver- 
ursachte, als etwas Hohes und Wunderbares zu betrachten. Und 
wenn dann diese Vorstellung eines wunderbar schönen, hohen 
und reinen Gegenstandes die Seele durchdrang, alle imifeinen und 
unwürdigeil Gedanken ans ihr verdrängt, sie mit edelem Streben 
erfüllte, so war das etwas viel Bedeutsameres als die WVirkung, 
welche die Liebe dort auf den ritterlichen Jüngling ausübte. Es 
war nicht eine Veredlung im Sinne eines vornehmen Standes, 
sondern eine Veredlung im allgemeinen menschlichen Sinne, eine 
Wahrhaftgeistige Erhebung, etwas den Wirkungen der Religion 
oder einer mit dem Ilerzen erfassten philosophischen Lehre Ver- 
wandtes. Da aber dabei die Geliebte nicht selbstthätig war, son- 
dem nur durch ihre Erscheinung wirkte, da überdies die südliche 
Sitte den geselligen Verkehr der Geschlechter in gewissem Grade 
beschränkte, namentlich. Jungfrauen in Einsamkeit und Abge- 
schlossenheit hielt, so war es möglich, dass ein so tiefer Eindruck 
von einer nur einmal gesehenen Jungfrau ausging, welche der 
Liebende nie gesprochen, nie geistig keimen gelernt hatte. Sie 
wirkte dann also bloss als ein Bild des Göttlichen, und der Lie- 
bende konnte glauben, dass sie, wenn überhaupt ein irdisches 
Weib, doch ein Werkzeug des Himmels, um ihn emporzuziehen, 
vielleicht aber gar eine Himmelsbewohnerin sei, die sich nur in 
die Gestalt einer wirklichen Frau kleidete. Neben dem Glauben 
an das VVunderbare, der Leidenschaftlichkeit und der lebendigen 
Phantasie, war dabei die mittelalterliche Gewohnheit, sich Tu- 
genden und Kräfte in weiblicher Gestalt zu denken, mitwirkend, 
um einer solchen Vorstellung einen hohen Grad von Realität zu
	        
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