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Süd-Italien.
bequeme Consequenz des gothischen Styls mehr zur Sprache kam
und überdies die Pietät und Gewohnheit der Eingebornen stärker
dem Fremden widerstrebte, erlangte er nur in der Hauptstadt
Neapel durch die fortdauernde Gunst der königlicheir Familie eine
bleibende Bedeutung. Hier sind oder waren in der That die mei-
sten Kirchen gothisch gebaut. So ausser der obenerwähnten von
S. Lorenzo maggiore der Dom S. Gemlaroä), die grosse mit
Einrechnung der Kapellen fünfschißige Klosterkirche S. Dome-
nico S. Eligio maggiore, S. Chiara, S. Giovanni-a-mare und
viele andere. Die Details dieser Kirchen sind vollkommen franzö-
sischen Styls, nicht in irgend einer italienischen Umbildung, und
beweisen dadurch, dass dieselben von französischen Baumeistern
hergestellt wurdengßwe), die aber in wesentlichen Punkten von
ihren Gebräuchen abwichen, um sich denen des Landes zu fügen.
Das Mittelschiff hat statt des Kreuzgetvölbes eine flache Decke
oder ein 'l'onnengewölbe, die Choranlage ist, mit Ausnahme der
schon erwähnten Kirche S. Lorenzo maggiore, vereinfacht und
ohne Kapellenkranz, die Glockenthürme sind durchweg nach ita-
lienischer VVeise gebildet und mit Ausnahme von S. Domenico,
wo sie die offene Vorhalle begrenzen, ohne alle Verbindung mit
der Kirche.
Mit diesen Modiiicationen erlangte der fremde Styl in der
Hauptstadt gewissermassen das Bürgerrecht, so dass er sich bis
zum Eindringen der Renaissance erhielt. In den Provinzen da-
gegen blieb er völlig fremd und wurde nur durch einzelne Kirchen
vertreten, bei denen man meistens nachweisen kann, dass sie
von den Königen gestiftet und von französischen Architekten ge-
baut waren.
Die bedeutendsten unter diesen werden ohne Zweifel die drei
i") Grundriss bei Schulz III. 1B.
w) Zeichnungen bei Lübke in den Mitth. a. a. O. S. 223.
i'm) Vasari schreibt den Dom dem Niccolö Pisano, der (unten näher zu
erwähnende) neapolitanische Kunsthistoriker De Domenici aber einem ein-
heimischen Meister, dem von ihm s. g. Masuccio I., zu. Abgesehen, dass
selbst die Existenz dieses letzten durch keine Urkunde oder Inschrift er-
wiesen ist, ist es durchaus undenkbar, dass Italiener sich so unbedingt in
französische Formbildung fügen können, wie es in den im Texte genannten
Kirchen geschehen ist.