Geistige
Verschiedenheit.
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politischen Verhältnissen dem Orient genähert; wie dort hat auch
hier die Geschichte eigentlich nur die Schicksale der Dynastien
zu erzählen, während das Volk im Wesentlichen stets in der-
selben Lage blieb.
Aehnlich erging es der Kunstie), auch sie hat kaum eine
Geschichte, wenigstens keine so inhaltreiche, wechselvolle, wie
die nordischen Provinzen. Sie sank niemals zu dem Grade von
Rohheit und Verwilderung herab wie dort, aber sie hob sich auch
niemals aus eigener Kraft. Ein Ueberrest antiken Geschmacks
erhielt sich auch in den dunkelsten Jahrhunderten, aber nur als
Zähe Gewohnheit, nicht als lebendige, reagirende Kraft. Während
die Berührung mit fremder Kunst für Oberitalien die gründlichste
Schule eigner künstlerischer Ausbildung wurde, fehlte hier so-
wohl die Kraft der Aneignung des Fremden, als die der Reaction
gegen dasselbe. Alle Nationen, welche wenn auch nur einzelne
Stellen des küstenreichen Landes vorübergehend beherrschten,
liessen vereinzelte künstlerische Spuren zurück, aber keine brachte
bleibende YVirkungen hervor, und das Resultat der Jahrhunderte
War nur eine allmälige Annäherung dieser Provinzen an die fort-
schreitende Kunst der oberitalischen.
Vor allem hätte man eine starke Einwirkung der byzanti-
nischen Kunst erwarten sollen; die griechische Abstammung
der Bevölkerung in manchen Provinzen, die langanhaltende Herr-
Schaft der Byzantiner, der stete Verkehr der ganzen Ostküste mit
Ü Ausschliessliche Quelle ist hier das grosse Werk von H. W. Schulz,
Denkmäler der Kunst des Mittelalters in Unter-Italien, nach
dem Tode des Verfassers herausgegeben von F. v. Quast, Dresden 1860,
4 Bde, 4. und Atlas in gr. F01. Dies Prachtwerk, das Resultat gründlicher,
durch eine Reihe von Jahren fortgesetzter Studien, mit vorzüglichen Ab-
bildungen, zum Theil von bedeutenden Dimensionen, ausgestattet, hat uns
diese Gegend, von welcher wir früher nur durch die unter den Auspieien
des Duc de Luynes herausgekommenen: Rercherches sur les monumens etc.
dans Pltalie märidionale, Paris 1844, gr. Fol., und einige Reisewerke un-
Sichere Nachrichten hatten, erst aufgeschlossen, und giebt über dieselbe so
ausführliche und anschauliche Kunde, wie wir sie kaum über eine andere
Provinz Italiens besitzen. Zwar ist nicht zu läugnen, dass es namentlich
in architektonischer Beziehung noch manche Wünsche übrig lässt; indessen
Sind diese Lücken im Verhältnisse zu denen, über welche wir uns in der
Literatur der andern Gegenden zu beklagen haben, sehr gering.