Entstehung
der
Vulgärpoesie.
35
mehrere mit solchem Erfolge, dass sie eine hervorragende Stelle
in der Geschichte der provenzalischel] Literatur einnehmen
Selbst dem Volke war diese Sprache nicht unverständlich und
provenzalische Sänger zogen herum, um ihm auf den Märkten
Lieder des karolingischen Sagenkreises vorzutragen. Noch zu
Dante's Zeit, wo doch die einheimische Dichtung schon reiche
Blüthen getragen hatte, war die provenzalische Poesie in Italien
so verbreitet, dass er Verse aus derselben in der Ursprache in
sein Gedicht aufnehmen und Troubadours als seinen Lesern wohl-
bekannte Persönlichkeiten auftreten lassen konnte.
Allmälig aber begann denn doch die Vulgärsprache sich mehr
zu tixiren. Bei wachsender Civilisation und lebendigem politischen
Verkehre musste man doch versuchen, eine allgemeine, auch den
Kriegsmännern und den Damen verständliche Sprache zu er-
langen. Es bildete sich daher das sogenannte vulgare illustre,
eine aus gemeinsamen Bestandtheilen der meisten Dialekte mit
Hülfe des Lateinischen gebildete Redeweise, die zwar noch un-
sicher und wechselnd War, aber mit der man sich doch an den
Höfen und in gebildeteren Kreisen durch ganz Italien verständigen
konnte. WVar man erst so weit, so lag es auch nahe, in der V ul-
gärsprache, Wenigstens für gesellschaftliche Unterhaltung, zu
(lichten. s.
Bekanntlich geschah dies zuerst in Sicilien, am Hofe Kaiser
Friedrichs II., und es ist merkwürdig, dass italienische Sprache
und Dichtung ihre Wiege bei einem halbgriechischen Volke und
ihre erste Pflege und Förderung durch einen deutschen König
erhielten. Aber der glänzende Hof dieses geistreichen, für alles
Schöne empfänglichen Fürsten konnte in dieser Beziehung Wohl
als der geistige Mittelpunkt Italiens betrachtet werden, und es ist
begreiflich, dass hier, wo gelehrte und gebildete Männer aus allen
Theilen Italiens mit Provenzalen und Deutschen als Zeugen eines
ritterlichen Festlebeils, wie es Italien noch kaum gesehen, zusam-
mentrafen, ein edler Wetteifer entstand, der zu neuen Versuchen
ermuthigte. Es scheint sogar, dass Friedrich bewussterweise die
"Ü Diez, Poesie der Troubadours, 274. Ausser Sordello, dem berühmtesten
dieser aus Italien stammenden Troubadours, ist besonders der Markgraf Albert
von Malaspina zu nennen.