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Giottds
Schule.
überall, wohin Giotto oder Werke seiner Hand gelangt waren,
begann man ihm nachzueifern. Die älteren Meister suchten sich
so viel wie möglich von seiner VVeise anzueignen, die Schüler
drängten sich in die Werkstätten. Es entstand eine Zeit so reger
und fruchtbarer Kunstthätigkeit, wie sie noch nicht dagewesen
war, wie sie kaum später wiederkehrte.
Bei der Würdigung derselben dürfen wir jedoch die zünftige
Stellung der Meister nicht übersehen. Giotto hatte in gewissem
Sinne die Kunst emancipirt; wie ihn selbst finden wir auch wie-
derholt, dass seine Schüler, obgleich Maler, grossen Bauten vor-
stehen oder auch plastische VVerke ausführen. Man hatte also
schon völlig den Begrilf der zeichnenden Kunst, der unter Umstän-
den die Grenzen der Zünfte zu überschreiten erlaubte. Allein das
waren Ausnahmen und die Regel War und blieb der zünftige Be-
trieb. Auch die berühmtesten Maler übernahmen die Lieferung
von Wappen und ähnlichen gröberen Arbeiten?) und das höhere
Ansehn, welches die Kunst erlangte, diente zunächst nur zur Be-
festigung des Zunftwesens. Jeder 'l'heilnehmer der Zunft fühlte
sich dadurch als Mitglied einer geachteten Genossenschaft. Die
alte Auffassung der Malerei als einer Schrift für die Unwissenden
war durch Giotto keinesweges beseitiget, sondern gewann eine
höhere Bedeutung. Denn während die Lehre, welche die frühe-
ren Maler den Unwissenden mittheilteu, nur in dem Ilistorischen
der heiligen Hergänge, ihre Aufgabe nur darin bestand, diese an-
schaulich zu machen und dem Gedächtnisse einzuprägen, handelte
es sichjetzt um Begriffe, also um eine geistigere und bedeutendere
Aufgabe. Bei Giotto selbst war es vorzüglich die psychologische
Tiefe der Auffassung, durch welche er belehrend, anregend wirkte
und, wie Boccaz sagt, auch den NVeisen gefiel, und darin konn-
ten freilich nur ebenso geniale Meister mit ihm wetteifern. Allein
da Giotto in seiner langjährigen und umfassenden Thtitigkeit Ge-
legenheit gehabt hatte, die ganze Scala des Pathetischen, soweit
sie im-damaligen Gesichtskreise lag, zu erschöpfen, und seine Ge-
stalten durch seine Schüler bald zum Gemeingut wurden, so be-
sassen nun auch die minder Begabten bereits fertige Ausdrucks-
k) Simon von Siena lieferte 1827 der Stadt eine grosse Menge von
Wappenmalereien, 720 goldene Lilien, 16 Löwen u. s. w. Milanesi I. 318.