Ihr
Verhältniss
Zllf
Natur.
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keit der natürlichen Erscheinung ausschlossen. Die Palette ist so
beschränkt, dass dasselbe Grün, mit welchem das Wasser und
die Fische darin (diese mit andern Schatten und mit kleinen Gold-
lichtern) gemalt werden, auch zu denSchatten desFleisches dient.
Dies alles beweist zur Genüge, dass die Zeitgenossen unter
derNatürlichkeit, die sie an Giotto rühmen, nicht eine äusserliche,
Sondern eine innere Naturwahrheit verstanden. Es ist ziemlich
dasselbe, was Cennino mit dem Ausdrucke bezeichnet, dass Giotto
die Kunst aus dem Griechischen inis Lateinische übersetzt habeäc).
Statt der einfachen, starren Hoheit der bisherigen Bilder, die dem
Beschauer vielleicht imponirend und Andacht erweckend, aber
dunkel und unverständlich entgegentreten, wie eine Rede in fremder
Sprache, gab Giotto Gestalten, Welche ihre Gefühle deutlich aus-
sprechen, lebende Menschen, mit denen der Beschauer geistig
verkehren, in denen der Künstler sich selbst, seine eigenen natio-
nalen Emplindungcn ausdrücken konnte. Erst jetzt redete die
Kunst daher die Landessprache, und diese ihre innere sittliche
Wahrheit war für die daran nicht gewohnten Zeitgenossen so
hinreissenrl, dass sie sich seinen Bildern gegenüber wie im Leben
Selbst fühlten und ihre Phantasie nun auch das Körperliche er-
gänzte und es bis zur 'l'äuschung dargestellt glaubte.
Daher denn auch die gewaltige Begeisterung, welche seine
VVerke schon bei seinem Leben und in erhöhtem Maasse nach sei-
"E111 Tode erweckten, die rasche Verbreitung seines Styls, die an-
haltende Verfolgung des von ihm eingeschlagenenWeges. WVie vor
einem halben Jahrhunderte die Vulgärpoesie, machte jetzt seine
Kunst die Runde durch die ganze Halbinsel, allmälig auch in die
entlegensten Orte eindringend. Es war eine zweite Sprache, die
der Nation gegeben wurde, eine populärere, anschaulichere, durch
Welche nicht bloss die Gefühle und ethischen Anschauungen, son-
dern auch die Gedanken und Begriffe der sich immer mehr ver-
breitenden scholastischen Bildung einen verständlichen Ausdruck
erhielten. Die Liebe zur Kunst erstreckte sich über alle Stände.
xVer es nur irgend vermochte. betheiligte sich an der Stiftung
malerischer Werke, die XVände der Kirchen bedeckten sich mit
ausgedehnten Fresken, die Altäre mit figurenreichen 'l'afelbildern;
a") S. oben S. 272.