als
Dichter.
407
Zeit gehörte. Aber zugleich beweist doch der hohe sittliche Ernst
und der Schwung der Gedanken des Gedichtes eine ganz andere
Gesinnung, als die trivialeNüchtemheit, mit der ihn jene Novellen
auftreten lassen.
Bei den Aeusseruxigen der "gleichzeitigen oder nahestehenden
Schriftsteller über Giottds künstlerisches Verdienst ist es be-
merkenswerth, dass sie alle eine Eigenschaft vorzüglich heraus-
heben, welche dieNeueren ihm eher absprechen möchten, nämlich
die Natür lichkeit seiner Darstellung. Villani rühmt, dass er
alle Figuren lmd Bewegungen mehr als Andere natürlich darge-
stellt, Ghiberti, dass er die Kunst natürlich gemacht habe. Boccaz
Scheint ihm sogar täuschende Naturnachahmung zuzuschreiben,
indem er freilich durch den Mund einer Dame in einer Novelle
sagt, Giotto habe alle Dinge so vortrefflich gemalt, dass sie volle
Wirklichkeit, nicht bloss etwas ihr Aehnliches, geschienen hät-
tenü). Dieses zeigt jedenfalls, dass man diese Eigenschaft von
der Kunst forderte und bestätigt mithin, dass das Streben nach
Naturwahrheit eines der Motive gewesen war, welche zu einer
Aenderung des Styles führten. Zugleich aber beweist es, dass
der Begriff des Natürlichen nicht ganz derselbe war, wie in un-
Sern Tagen; es war eben nur jener scholastisch bedingte Natura-
liSInus, von dem wir oben sprachen. Auch geben uns jene Schrift-
Steller selbst einige Andeutungen, wie sie das Wort verstehen.
Ghiberti fügt nämlich dem Lobe der Natürlichkeit sogleich das der
sittlichen Anmuth und des Maassvollen hinzu 3d), und Boccaz, in-
dem er in derselben Novelle Giotto mit den ältern Malern ver-
i) Decamerone, Giornata. VI. Nov. 5. Giotto ebbe un ingegno di tanta
"eccelenzia, ehe niuna cosa della namra fu, ehe egli non dipignesse si
Simile a quella, ehe non simile anzi piütosto dessa paresse. Vasari steht
natürlich schon auf einem ganz andern Standpunkte wie diese Schriftsteller
des XIV. und XV. Jahrhunderts. Er schreibt Giotto nur zu, dass er seit
mehr als zweihundert Jahren zuerst wieder gut porträtirt habe, was, wenn
man nicht von täuschender Modellirung, Sondern von der charakteristischen
Zeichnung des Umrisses spricht, vollkommen richtig ist.
m") Ghiberti: Arrecö Parte naturale e 1a gentilezza con essa, non uscendc
delle misure. Förster (Beiträge S. 1M] will gentilezza durch "lmgelwllngerlß
Bewegung" übersetzen, allein das Wort deutet immer auf etwas Sittliches
m", auf die alma gentile, oder doch auf das Wohlwollen und die Güte,
deren sich adlige und vornehme Personen befleissigen sollen.