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Giotto
Zeit, Wo Hochrnuth und Pedanlerie sich republikanischen Ueber-
lieferungen gegenüber geltend machten, ist dies ziemlich natür-
lich, und dass Giotto vermöge des ethischen Scharf blickes, den
seine Gemälde beweisen, auch im Leben die Schwächen der Ein-
zelnen und des Zeitgeistes durchblickt und gelegentlich mit raschem
Worte gerügt haben wird, ist sehr wahrscheinlich. In der That
geschieht dies selbst in einem Gedichte von ihm, dem einzigen,
von dem wir wissenß). Es behandelt die Frage vom Werthe
der Armuth, also einen Gegenstand, der seit den Tagen des
h. Franz oft besprochen war, und geht sehr scharf gegen die herr-
schenden Uebertreibungen an. Er fängt damit an, ein Bedenken
gegen das allgemeine Lob der Armuth aufzuwerfen; sie sei ein
Extrem, und solches sei selten richtig. Unfreiwillige Armuth, fährt
er dann fort, sei gewiss nichts Gutes, da sie so oft zum Schlech-
ten verführe. Aber auch für die freiwillig erwählte könne er,
selbst dann wenn sie beobachtet würde, nicht viel sagen, denn
Kenntnisse, gute Sitte, Tugend würden nicht dadurch erworben,
und diese zu entbehren, schiene ihm grosse Schmach. Zwar sei es
Wahr, dass Christus sie hoch rühme. Aber seine Worte seien
gar tief und es komme darauf an, die Wahrheit zu entdecken, die
sich darin verberge. Bei ihm sei, vermöge seiner Macht, wirklich
volleUebereinstimmung seinesWortes und seines heiligen Lebens
gewesen. Indessen habe seine Armuth nur den Zweck gehabt,
uns vom Geize zu befreien, und bei den Menschen erkenne man
meistens, und zwar gerade bei denen, welche die Armuth am
meisten lobten, nur das unruhige Streben, sie los zu werden. Und
nun eifert er gegen Heuchelei und Hochmuth und gegen dieWölfe
in Schafskleidern und entlässt seine Canzone mit derAnweisung,
sie zu bekehren, oder wenn sie steif blieben, sie tüchtig unterzu-
tauchen. Die Kühnheit dieses Angriifes ist bei einem Künstler.
der die Braut des h. Franz im Gemälde verherrlicht und so viel in
Franciscanerklöstern gearbeitet hatte, auffallend genug, und zeigt
allerdings, dass er nicht zu den schwärmerisch Frommen seiner
ß] Es ist von Rumohr entdeckt und zuerst in den Ital. Forsvh. II. 51
nach dem Originale in der Laurentiana zu Florenz publicirt, demnächst aber
auch bei Rosini und mit einigen Berichtigungen von den Herausgebern des
Vasari I. 348 abgedruckt.