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Giottds
testamentarische, theils neuere Heilige von verschiedenen frühem
tmd spätern Händen. Ob Giottols Plan damit abschloss oder nur
das Weitere unausgefuhrt blieb, ist ungewiss, indessen ist der
Gedanke auch so verständlich. Das Ganze ist die Darstellung,
nicht sowohl der Geschichte, als des Wesens christlicherBildung;
unten erscheint sie als natürliche, auf einfacher menschlicher Thä-
tigkeit beruhende, dann in den höheren, auf dem Boden des grie-
chisch-römischen Heidenthums erwachsenen Künsten, in oberster
Reihe tritt die Offenbarung des alten und neuen Testaments in ihren
Vertretern mächtig auf, in der Mitte aber sehen wir den Einfluss
dieser Offenbarung auf jenes natürliche Leben, indem dieses nun
die sittlichen Lehren den Tugenden und der werkthätigen Liebe
empfängt und theils durch die von Gott den Gestirnen geliehenen
Kräfte, theils aber durch die Kirche und ihre Heilsmittel geleitet
wird. Wir haben also hier eine grosse architektonisch-plastische
Dichtung, welche an die mancher französischen und deutschen
Kathedralen erinnert, aber einfacher und freier ist, nicht so sehr in
die hergebrachten Subtilitäten scholastischer Theologie eingeht und
das Christliche in engerer Verbindung mit dem allgemein Mensch-
lichen auffasst. Indessen auch so ist sie ein Zeugniss von dem in
Italien mehr überhanduehmeuden Streben nach scholastischer
Gedankentiefe und Gelehrsamkeit, das gerade um diese Zeit durch
Dante's Gedicht eine mächtige Anregung erhielt, sich aber hier
ganz unabhängig von demselben zeigt.
Neben der Gcdankentiefe ist bei diesen spätesten Arbeiten
Giottds auch der Umstand wichtig, dass er, der berühmte Maler,
hier zugleich auch als Baumeister und Bildner auftritt. Die Ver-
bindung der beiden letztgenannten Künste war auf dem Standpunkte
des Mittelalters ziemlich natürlich und in Italien wie in Deutsch-
land die Regel; das Gewerbe dersteinmetzeil befähigte zu beiden.
Aber die Malerei hatte damit nichts gemein; sie beruhte auf ganz
anderen technischen Kenntnissen und Handgriffen. Dass Giotto
nun auch jenes andere Gewerbe gelernt, ist nicht wahrscheinlich;
er ist von früher Jugend an so anhaltend mit grossen malerischen
Aufgaben beschäftigt, dass dazu keine Zeit blieb, und selbst in
derUrkunde, in welcher seine Mitbürger ihm die Oberleitung aller
ihrer Bauten übertragen, ist er nur als Maler bezeichnet, wäh-