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Giotto.
kneift und gewaltsam an ihrem Brustlatz zerrt, schon in's Unschöne
übertrieben. Giottois Richtung war offenbar dem Epischen und
der Frescomalerei günstiger, als der feineren Ausführung und der
lyrischen Tendenz des Altarbildes.
Neben seiner malerischen Thätigkeit müssen wir endlich auch
seiner bildnerischen gedenken. Wie schon erwähnt, übertrug
ihm seine Vaterstadt in seinem neun und fünfzigsten Jahre die
Oberleitung ihrer Bauten, und er legte nun sofort eifrigHand anls
VVerk, entwarf und begann den Aufbau nicht bloss des Campa-
nile, sondern auch einer neuen Faeade für den Dom, weil die be-
reits begonnene des Arnolfo neben den kräftigen Formen und
Farben des Glockenthurmes kleinlich erschien, und projectirte für
beide Werke eine reiche plastische Ausschmückung Nach Ghi-
bertPs Angabe begnügte er sich hierbei nicht mitVorzeichnungen
und Anordnungen, sondern formte und meisselte sogar die ersten
Reliefs des Thurmes mit eigener Handf), eine Angabe, welche
zwar nicht weiter erwiesen, aber auch nicht widerlegt und dem
noch nahe stehenden berühmten Bildhauer zu glauben ist. Jeden-
falls aber ist der Gedanke, welcher der plastischen Ausschmücknng
beider Werke zum Grunde lag, von ihm angegeben und ein Be-
weis seines tiefsinnigen Geistes. Von den Statuen der Faeade
sind noch mehrere theils im Dome oder im Werkhause derselben,
theils in verschiedenen Villen in und um Florenz erhalteniiiii).
Ueber ihre Anordnung wissen wir nur, dass unten in Nischen
neben dem Hauptportale die kolossalen sitzenden Evangelisten,
in den spitzbogigen Bogenfeldern der Portale aber am mittlern
Madonna mit dem Kinde zwischen Engeln und den Localheiligen
Zanobius und Reparata, an den Seitenportalen die Geburt Christi
und der Tod der Maria, Weiter oben dann zahlreiche Statuen, erst;
1') Ghiberti a. a. 0. p. XIX. Le prime storie nel1' edifizio de]
eampanile furono di sua mano scolpite e disegnati. Er fügt hinzu,
dass er selbst die provedimenti (wie Vasari, der übrigens bIOSS Ghiberti
abschreibt, sagt: die Modelli di rilievo) von Giotttfs Hand gesehen habe.
w") Im Dome in den Kapellen des Chors die vier Evangelisten, im
Werkhause eine kolossale Madonna mit dem Kinde, die h. Reparata u. A.,
sämmtlich im Style des XIV. Jahrhunderts, zum Theil des Andrea Pisano.
Ueber die zerstreuten Statuen, welche zum Theil jünger sind, siehe Cicog-
nara II. 159.