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Giotto
die sich erhängt hat, die Ira, ein bejahrtes, stämmiges Weib,
welche, gegen sich selbst wüthend, das Kleid auf der Brust zer-
reisst. Bei der Injustitia hat er an räuberische Burgherren gedacht,
wie sie damals im Appenin oder an den Abhängen der Alpen noch
vorkamen. Ein Mann, bärtig, in anständiger Kleidung, aber mit
thierischen Klauen, sitzt vor dem zwischen Felsen gebauten Thore
einer Burg. Er ist mit einem Schwerte bewaffnet und mit einer
langen, mit Haken zum Heranziehen versehenen Lanze, und zu
seinen Füssen sind wiederum, wie dort die 'l'haten derGerechtig-
keit, so hier die des Unrechtes, Mord, Raub und Verwüstung
dargestellt. Die übrigen dieser Bilder sind gewöhnlichere, aber
lebendige und scharfsinnige Allegorien. l)erNeid ist ein wüthen-
des Weib, mit thierischen Ohren, Hörnern und Krallen, aus deren
Munde ihr eigenes Gift als Schlange hervorgeht und sich gegen
sie selbst zurückwendet; die Infidelitas, ein jugendlicher Mann,
in schwerfälliger , vielleicht den Prunk falscher Doctorenweisheit
andeutender 'l'racht, aber mit dem Helm der Eitelkeit bedeckt, der
von dem Götzen, den er auf seiner Hand trägt, an einem ihm um
den Hals gelegten Stricke in die Flamme zu seinen Fiissen hinein-
gezogen wird, die Inconstantia, eine junge, auf einem umlaufenden
Bade stehende Frau, deren weitflatternder Mantel und ängstliche
Gebehrde ihren nahen Fall sehr deutlich anzeigen. Nur die Stul-
titia ü) ist eine nicht unbekannte Gestalt, nämlich jener halbnackte,
mit der Federkrone thöricht geschmückte, mit der Keule bewaff-
nete Narr, den die Miniatoren gern bei den Worten des Psalmi-
sten von dem Thoren, der in seinem Herzen Gott leugnet, anzu-
bringen pflegten. Alle anderen Figuren sind neu und sinnreich,
aber allerdings mehr um des Gedankens willen, als mit verwalten-
der Rücksicht auf Schönheit erfunden.
Von den übrigen Wandmalereien Giottols in Padua sind nur
noch vier lebensgrosse Gestalten im Kapitelsaale des Klosters von
S. Antonio neuerlich wieder entdecktw), Jesaias und Daniel,
a) Die Gestalt ist nicht von Giotto's Hand, aber wahrscheinlich nach
seiner Composition, welche durch ein darangesetztes Denkmal verdeckt ist,
copirt. Vgl. Förster im Kunstbl. 1857 S. 380.
W) Mehrere Zeugnisse setzen ausser Zweifel, dass Giotto in diesem
Kapitelsaale gemalt habe. Der Chronist Ricobaldi von Ferrara (s. d. Stelle