Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

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Giovanni 
Pisano 
und 
Giotto. 
des ernsten Gedichtes zu entsprechen. So jener oft angeführte alte 
Schneider, der das Auge zuspitzen muss, um einfadeln zu kön- 
nen, die blinden Bettler, die aneinander gelehnt vor der Kirchthüre 
stehen, der Mann, der an den Mienen der Andern bemerkt, dass 
ihm etwas im Haare stecke und danach sucht. Die Tänze der 
Seligen werden bald mit Mühlrädern, bald mit einem Kreisel ver- 
glichen, bei dem die himmlische Freude die Peitsche führt, die 
Reden des h. Thomas, durch die er verschiedene Zweifel Dante's 
löst, sind ein Ausdreschen verschiedener Garben. Gott selbst 
wird, Weil die Seligen in seinem Antlitze alle Dinge lesen, mit 
einem grossen Buche verglichen, dessen Papier nicht gelb, dessen 
Schrift nicht bleich wird, und die Haltung eines von Gedanken 
Belasteten wird durch den Vergleich mit einem halben Brücken- 
bogen recht anschaulich, aber nicht sehr zart versinnlicht. 
Neben diesen naiven, aus dem Alltagsleben gegriffenen 
Gleichnissen kommen dann aber andere höchst abstracte, pedan- 
tische vor. Einige derselben sind geradezu aus dem physikalischen 
Hörsaale mitgebracht; so wenn der Dichter die Gleichzeitigkeit 
und Verschiedenartigkeit der Schöpfungen Gottes durch das 
gleichzeitige Durchscheinen des Lichtstrahles durch Glas, Bem- 
stein und Krystall anschaulich machen will , oder wenn er zum 
Zwecke eines andern Vergleichs die verschiedene Xvirkung des 
Lichtes in drei in verschiedenen Entfernungen aufgestellten Spie- 
geln demonstrirt. Andere Bilder sind zwar aus alltäglicher Er- 
fahrung, aber doch mit einem physikalischen Interesse genommen; 
das Bräunen des durchglühten Papiers vor dem Ausbruche der 
Flamme, das Zischen des Saftes in brennendem frischem Holze, 
das fortdauernde Zittern der Sehne des Bogens, wenn der Pfeil 
schon längst in der Scheibe steckt u. s. w. 
Man sieht, der Dichter und seine Zeit scheuen weder den 
Contrast eines lehrhaften Satzes mit der dichterischen Form, noch 
den einer. komischen, aus dem Leben gegriffcnen Scene mit der 
erhabenen Tendenz des Gedichtes. Sie sind so begierig nachAn- 
schauungen und Erfahrungen, dass ihnen jede Beobachtung 
wichtig, mittheilenswerth erscheint. Die Wahrheit macht ihnen 
schon an sich den Eindruck der Schönheit; die Anforderung ei- 
ner formellen Gleichartigkeit, einer weichen Harmonie, hat für sie
	        
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