366
Giovanni
Pisano
und
Giotto.
des ernsten Gedichtes zu entsprechen. So jener oft angeführte alte
Schneider, der das Auge zuspitzen muss, um einfadeln zu kön-
nen, die blinden Bettler, die aneinander gelehnt vor der Kirchthüre
stehen, der Mann, der an den Mienen der Andern bemerkt, dass
ihm etwas im Haare stecke und danach sucht. Die Tänze der
Seligen werden bald mit Mühlrädern, bald mit einem Kreisel ver-
glichen, bei dem die himmlische Freude die Peitsche führt, die
Reden des h. Thomas, durch die er verschiedene Zweifel Dante's
löst, sind ein Ausdreschen verschiedener Garben. Gott selbst
wird, Weil die Seligen in seinem Antlitze alle Dinge lesen, mit
einem grossen Buche verglichen, dessen Papier nicht gelb, dessen
Schrift nicht bleich wird, und die Haltung eines von Gedanken
Belasteten wird durch den Vergleich mit einem halben Brücken-
bogen recht anschaulich, aber nicht sehr zart versinnlicht.
Neben diesen naiven, aus dem Alltagsleben gegriffenen
Gleichnissen kommen dann aber andere höchst abstracte, pedan-
tische vor. Einige derselben sind geradezu aus dem physikalischen
Hörsaale mitgebracht; so wenn der Dichter die Gleichzeitigkeit
und Verschiedenartigkeit der Schöpfungen Gottes durch das
gleichzeitige Durchscheinen des Lichtstrahles durch Glas, Bem-
stein und Krystall anschaulich machen will , oder wenn er zum
Zwecke eines andern Vergleichs die verschiedene Xvirkung des
Lichtes in drei in verschiedenen Entfernungen aufgestellten Spie-
geln demonstrirt. Andere Bilder sind zwar aus alltäglicher Er-
fahrung, aber doch mit einem physikalischen Interesse genommen;
das Bräunen des durchglühten Papiers vor dem Ausbruche der
Flamme, das Zischen des Saftes in brennendem frischem Holze,
das fortdauernde Zittern der Sehne des Bogens, wenn der Pfeil
schon längst in der Scheibe steckt u. s. w.
Man sieht, der Dichter und seine Zeit scheuen weder den
Contrast eines lehrhaften Satzes mit der dichterischen Form, noch
den einer. komischen, aus dem Leben gegriffcnen Scene mit der
erhabenen Tendenz des Gedichtes. Sie sind so begierig nachAn-
schauungen und Erfahrungen, dass ihnen jede Beobachtung
wichtig, mittheilenswerth erscheint. Die Wahrheit macht ihnen
schon an sich den Eindruck der Schönheit; die Anforderung ei-
ner formellen Gleichartigkeit, einer weichen Harmonie, hat für sie