364
Giovanni
Pisano
und
Giotto.
Wichtiger als seine Theorie ist uns sein eigenes praktisches
Verhalten gegen die Natur in seinen Schilderungen und Gleich-
nissen. Zirnärhst ist dabei auf einen merkwürdigen Unterschied
zwischen ihm und seinen sämmtlichen poetischen Vorgängern,
ohne alle Ausnahme, aufmerksam zu machen. Diese, selbst die
ihm der Zeit nach nächsten und von ihm als seine Meister ge-
rühmten, nehmen wie alle vorhergegangenen mittelalterlichen
Dichter ihre Vergleiche entweder aus dem allgemeinen metapho-
rischen Vorrathe aller Völker, von Feuer, Wasser, Luft, Bäumen,
Gras u. s. w., oder aus dem Reiche des Wunderbaren, besonders
aus der Thierfabel Der Salamander, der im Feuer lebt, der Basi-
lisk, dessen Anblick tödtet, der Panther, welcher der Sage nach
durch seinen lieblichen Duft und das Leuchten seines Felles alle
Thiere anzieht u. s. f., das sind die Gegenstände, mit welchen
diese Dichter sich selbst als Liebende, ihre Geliebte und den Amor
vergleichen. Dante hat diesen ganzen Apparat augenscheinlich
bewusster Weise verschmähet; nur der Phönix kommt ein Mal
vor, und zwar das bei einer Höllenstrafe, für die in der wirklichen
Natur kein Gleichniss zu finden war. Selbst der Löwe scheint ihm
zu fremdartig gewesen zu sein; er braucht ihn nur als allegorische
Figur in hergebrachter Bedeutung oder in kurzer liletapherg).
Alle andern überaus zahlreichen Thierbilder sind von einheimischen
Thieren genommen, dann aber mit höchster Anschaulichkeit, offen-
bar nach eigner, frischester Beobachtung ausgeführt, und so
vollständig, als ob es darauf angekommen wäre, die ganze ita-
lienische Thierwelt zu erschöpfen. Fast eben so vollständig sind
die Bilder der bewegten Natur und der Himmelserscheinungen.
Sonnenuntergang, Miltagshitze, Sternenhelle, der Hof des Mon-
des, die Milclistrasse, der Regenbogen, sogar seine Verdoppe-
lung, Sonnenstäubchen, Sternschnuppen, Blitz, Nebel, die theil-
Weise Beleuchtung der Landschaft bei halbbedecktem Himmel,
Ebbe und Fluth, der stürzende Waldbach, der Sturm, die Wie-
derbelebung der Blumen nach dem Nachtfroste durch die Sonnen-
strahlen u. s. w. werden anschaulich geschildert.
Nicht minder zahlreich sind die Vergleiche aus dem Gebiete
des sittlichen und bürgerlichen Lebens; Kriegs bilder, wie sich
4') Pnrg. VI. 64, wo Sordello "wie ein ruhender Löwe" um sich blickt.