Sechstes
Kapitel.
Giovanni
Pisano
und
Giotto.
schon lange bevor Ducci0's Bild unter dem Zujauchzen des
Volkes von Siena seinen Einzug in den Dom hielt, noch bei dem
Leben sowohl Niccolols von Pisa als Cimabuäs hatten andere
Künstler eine neue Schule begründet, welche die Gemüther so be-
herrschte, dass selbst jenes Meisterwerk kaum beaehtet wurde,
Wenigstens keinen bemerkbaren Einfiuss auf den Gang der Kunst
ausübte. Bedenkt man die Kürze des Zeitraumes, seitdem Niccolö
und Cimabue aufgetreten waren, und die hohe Schönheit, die, wie
eben Duccio beweist, auf diesem Wege zu erreichen war, so muss
man über diesen schnellen Wechsel erstaunen. Bei gewissen äl-
teren Kunsthistorikern war es hergebracht, bei solchen Gelegen-
heiten sich in Klagen über die Veränderlichkeit der Menge und
die Ruhmsucht der Künstler zu ergiessen; sie hielten es für die
Aufgabe der Kunst, nach einem für alle Zeiten gültigen Schön-
heitsideale zu streben, und mussten daher, wenn sie Rückschritte
auf diesem Wege wahrzunehmen glaubten, dieselben menschlicher
Schwäche und Thorheit zuschreiben. Die Neueren erkennen
zwar an, dass die Kunst nicht so isolirt da stehe, sondern an dem
geistigen Volksleben Theil nehme und demselben folgen müsse;
aber es giebt doch Fälle, wo es ihnen schwer wird, die Gründe
solches WVechsels zu verstehen, und gerade der vorliegende ge-
hört dazu.
Und dennoch kennen wir diese Gründe gerade hier so genau
wie selten. Im Allgemeinen ergeben sie sich schon aus dem Gange
der politischen Geschichte. Den ersten Generationen nach der Fest-
stellung republikanischer Ordnung, welche den Gegensatz gegen
die vorhergegangene Anarchie noch fühlten und sich der Strenge
einfacher Sitten und den Gesetzen ihrer Stadt freudig unterwerfen,
genügte jene etwas fremdartige und feierliche Schönheit der