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Schlussbetrachtuxmg.
der bisherigen Malerei das religiös Ergreifende im byzantinisiren-
den Sinne bis zum Schreckenden und Grauenhaften steigerten,
so rief dies eine Reaction des antiken Elements, ein Streben nach
selbstbefriedigter Schönheit, nach dem Thatkräftigen und _Lebens-
vollen hervor, wobei denn Niccolö Pisano freilich so weit über
die Grenzen des Christlichen hinausging, dass kein einziger sei-
ner Zeitgenossen ihm zu folgen vermochte. Aber sein energisches
Auftreten hatte nun die bedeutende Wirkung, das Ziel näher fest-
zustellen, und das eigne nationale Gefühl als Richter zwischen
den byzantinischen und antiken Vorbildern aufzurufen. Es ent-
stand ein ldeal, welches das lmponirende, Grossartige, Ernste,
etwas von jenem Unnahbaren der byzantinischen Kunst mit der
grösseren Schönheit und freundlichen Würde und Anmuth der
Antike verbinden, dabei aber auch der specifisch- italienischen
Neigung für Gefühlsweichheit und Liebeswärme durch Züge
weiblicher Milde und kindlicher Naivetät Befriedigung gewähren
wollte. Es kam darauf an, dem Byzantinischen seine Starrheit,
dem Antiken seine gleichgültige, kühle Stimmung zu nehmen, in
beiden die verwandten, dem italienischen Charakter zusagenden
Züge zu beleben. Auf diesem VVege war Cimabue der erste,
aber man erkennt die verschiedenen Elemente, auf deren Ver-
schmelzung es ankam, noch gesondert; in den kolossalen Altar-
bildern' ist noch das Fremdartige des Byzantinischen, in den
historischen Darstellungen das Zufällige, Unsichere des blossen
Phantasiebildes, wie bei den Miniaturmalern, vorwaltend. Duccio
aber hat das Ziel wirklich erreicht, seine Bilder sind ganz von
dem Hauche idealer Schönheit durchdrungen, und geben zugleich
die heiligen Hergänge in lebendiger, erschöpfender Darstellung
mit feinen Zügen, die sie dem Verständniss nähern. Wäre es
nur auf die Betrachtung dieser Hergänge und Gestalten im idea-
len Lichte angekommen, so hätte man dabei stehen bleiben können.
Allein inzwischen waren in der Nation andre Bedürfnisse erwacht.