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Anfänge
italienischer
Sculptur.
dass Niceolö selbst, wie sich bei näherer Betrachtung seiner
Werke ergiebt, keinesweges ein tiefes Verständniss oder eine
unbedingte Verehrung für die Antike hatte. Grade in dem For-
mellen, in der Schönheit der Körperverhältnisse und in der Ge-
wandbehandlung ist er, wie wir schon gesehen haben, von der
Antike unberührt selbst da, wo er gewisse Gestalten ihrer pikan-
ten Erscheinung wegen ilachahmt, wie bei dem bärtigen Dionysos,
weicht er in diesen Beziehungen von seinem Vor-bilde ganz ohne
Noth ab. VVas ihn reizt, sind durchweg nur solche Motive, Situa-
tionen, Gestalten, die sich auf ethische Begriffe zurückführen
lassen; die Hoheit, Anmuth, Reinheit der Frauen, oder die
Völligkeit der Figuren und die gedrängte Anordnung der Reliefs,
die ihm als Ausdruck der Kraft und Lebensfülle dienen. Aber
das eigentlich ideale, das Geheimniss der Schönheitsregel,
die Formbildung der Antike iibet noch keine Anziehungskraft
auf ihn.
Dies zeigt sich auf's deutlichste in seinem Verhältniss zu
seinen Schülern. Hätte er eine Begeisterung für die alte Kunst
gehabt, so würde er sie auf diese mehr oder weniger übertragen,
ihnen die Augen geöffnet, sie zu Weitem Studien veranlasst haben.
Aber kein einziger derselben zeigt auch nur die geringste Spur
davon. Sein eigner Sohn Giovanni schlug eine ganz andre Rich-
tung ein, wie wir später sehen werden, und seine andern Schüler
folgten wohl im Allgemeinen der Weise des Meisters, aber so,
dass sie dieselbe populärer machten und die unmittelbaren Ein-
drücke der Antike verwischten. Sehr lehrreich wäre es in dieser
Beziehung, wenn wir die Werke des ältesten seiner Jünger,
des Arnolfo di Cambio genauer kennten, der 1266, als
Niccolb die Kanzel zu Siena übernahm, schon 34 Jahre alt und
zwar noch dessen Geselle aber doch schon ein persönlich be-
gehrter Künstler war, und wahrscheinlich bald darauf den
Meister verliess. Denn vom Jahre 1277 an finden wir ihn im
sonst hätte sie sich auch auf andre Denkmäler, z. B. auf die Colosse von
Monte Cavallo erstrecken müssen. Ohne Zweifel war hier ein religiöses In-
teresse entscheidend, entweder also (wie Plattner Beschr. Roms III. 1. 290
annimmt) die Verehrung Trajans, oder noch einfacher der Umstand, dass sie
kirchliches Eigenthum war und als Glockenthurm diente.