Kritik
der
frühem
Berichte.
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Streifen wir von dieser seiner Erzählung das novellistische
Element ab und halten wir nnr das Allgemeine fest, dass nämlich
dem Aufschwunge der italienischen Kunst eine stärkere Aneignung
byzantinischer Eigenthümlichkeiten vorher gegangen sei, so wird
dies in der That der Wahrheit entsprechen. Allerdings aber
haben wir dann auch hier erst aus den Monumenten selbst die
innern Ursachen und das Maass dieses byzantinischen Einflusses
kennen zu lernen.
Wir wollen dabei wieder mit einer Uebersicht der Minia-
turen anfangen. Zwar hat dieser Kunstzweig hier bei Weitem
nicht die Bedeutung wie bei den nordischen Nationen, wo die
Miniatnrmalerei wirklich die Schule für höhere Malerei wurde.
Das war sie in Italien niemals und überhaupt wurde sie erst im
XIV. und besonders im XV. Jahrhundert recht beliebt und blühend,
während Miniaturen des XII. und XIII. Jahrhunderts ziemlich
selten und ohne Originalität sind. Aber dennoch sind sie ans-
reichend, um einen chronologischen Ueberblick, namentlich über
die Frage, in welchem Maasse und zu welcher Zeit fremder Ein-
fluss geherrscht habe, zu geben. Grade die Miniatur ist der
Kunstzweig, durch welchen die Byzantiner sonst am meisten auf
das Ausland wirkten, und den sie auch hier, eben wegen jener
geringen Neigung der Italiener, am leichtesten in Händen be-
halten haben würden. Grade hier müsste ihre ausschliessliche
Thätigkeit am augenscheinlichsten sein, und grade hier treffen
wir sie nicht an. Betrachten wir die Handschriften des XI. und
XII. Jahrhunderts, deren italienischer Ursprung erwiesen oder
Wahrscheinlich ist, so finden wir wohl einzelne Figuren oder
Scenen, die wirklich aus byzantinischen Handschriften entlehnt
sindg), aber in den meisten fehlt entweder jeder Schein eines sol-
Chen Einflusses, oder es zeigen sich zwar ähnliche Züge, die aber
nicht sowohl von den Griechen angenommen, als durch gleiche-
Ursachen, durch die gleiche Einwirkung antiker Reminisccnzen
bei schwacher und unbeholfener Kunstübnng entstanden zu
Sein scheinen ich). In einer Sammlung von Bullen im Archiv der
So in dem Evangeliarium der VaticanaNro. 5974 bei Agincourt Tab. 104.
u) So bei der Chronik des Klosters S. Vincenzo am Volturno XII. Jahrh.
In der Bapberinischen Bibliothek, bei dem neuen Testamente Nro. 39, dem
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