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Italienische
Gothik.
setzt) die Bögen nächst der Porta della Carta, welche noch ge-
fehlt hätten, nach dem Entwurfe der ältern Meister hinzugefügt
seien, und wenn man die Geschicklichkeit der italienischen Stein-
arbeiter bei solcher Nachahmung älterer Vorbilder, die wir auch
sonst bemerken, in Rechnung bringt, ist es denkbar, dass er Recht
hat und dass selbst die ganze Architektur dieser letzten Bögen
erst dem Herstellungsbau angehört. Es ist indessen ebenfalls
möglich, dass nur die Kapitäle anfangs unvollendet eingesetzt und
erst nachträglich an Ort und Stelle behauen sindß), so dass
jedenfalls der Zweifel der darüber besteht, uns nicht bestimmen
kann, auch die Structur der Gallerien in diese späte Zeit zu
versetzen.
Endlich kommt dann auch der Umstand in Betracht, dass
die Anordnung des Dogenpalastes ganz isolirt dasteht. Alle
Paläste Venedigs von den ältesten bis in die Renaissance hinein
behalten die alte Eintheilung in Mittelbau und Flügel bei und fol-
gen der Regel, die Geschosse nach oben zu leichter zu bilden.
Wäre der Dogenpalast wirklich die freie Erfindung eines ange-
sehenen Meisters, denn nur einem solchen würde man diese Auf-
gabe anvertraut haben, so liesse sich kaum denken, dass nicht er
selbst oder ein Andrer den Versuch gemacht haben würde, dies
neue System auch noch ein zweites Mal anzuwenden. Der Mangel
aller solchen Versuche lässt daher darauf schliessen, dass die Zunft
der Bauleute einverstanden war, diesen Oberbau nur als einen
N othbehelf, nicht als ein Muster zu betrachten. Ganz anders da-
gegen verhält es sich mit den Arcaden, besonders mit der obern
des Dogenpalastes; Maasswerk derselben Art, wie hier, kommt
wie schon erwähnt überaus häulig vor, allein mit einer bemer-
kenswerthen Verschiedenheit. In allen andern Fällen haben die
1') Vgl. über alle diese Fragen ausführliche Untersuchungen bei Mothes
S. 191-196, 253, 269 ff., der indessen die Verschiedenheit zwischen der
Porta und den verschiedenen Theilen des Palastes noch nicht stark genug
schildert. Namentlich weicht auch das Plastische des Palastes, selbst die
grosse, unmittelbar an der Ecke der Porta stehende Gruppe, das Urtheil
Salomonis, von den Figuren an dieser, und zwar sehr vortheilhaft ab. Auch
Kugler, Baukunst llI. 575, neigt sich der von mit vorgetragenen Ansicht zu.
S. Abbild. einiger Kapitäle bei Cicognara St. d. Sc. I. Tab. 28-30 und
bei Selvatieo p. 132, 133.