Der
Dogenpalast
ZU
Venedig.
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blieb ihm nichts übrig, als die Mauern oben bis auf die Säulen-
stellung hinausrücken und diesem oberen Stockwerke die grösst-
mögliche Höhe zu geben. Diesen Raum durch neue Loggien zu
beschränken oder ängstliche Rücksicht auf das sehr mässige
Höhenverhältniss der Gallerien zu nehmen, wäre dem Zwecke
entgegen gewesen. Es kam daher nur darauf an, die schwere
Last dieses obern Aufsatzes durch die äussere Ausstattung zu
erleichtern. An blinde Arcaden oder überhaupt an Theilung die-
ser Masse zu denken, fiel dem Meister von 1424 nicht ein; er
war kein gelehrter Architekt, sondern ein venetianischer Stein-
metz, ein Tajapietra, wie sich Meister Bartolomeo noch 1463
nennt, und kannte nur die flache, malerische Ornamentation vene-
tianischer Paläste. Es ist daher begreiflich, dass er auch hier nur
ein malerisches Mittel zur Erleichterung dieser Mauermasse fand,
indem er sie durch diagonale Streifen in den auch sonst in Venedig
beliebten hellen Farben rautenförmig theilte. Die Diagonale Wirkt
immer insofern erleichternd, als sie die Gedanken horizontaler
Lagerung und verticaler Stützung, also die Erinnerung an das
Gesetz der Schwere, beseitigt, und statt dessen eher an Zelte oder
an gewebte Stoffe erinnert, wie man sie hier zu den Markisen,
deren Spuren wir noch erkennen, zu verwenden gewöhnt war.
Das einzige Bedenken, welches man gegen die Annahme der
früheren Entstehung der Säulenreihen geltend machen kann, bezieht
sich auf die Sculptur eines Theils ihrer Kapitäle, namentlich ihres
prachtvollen Laubwerks , welche in der 'l'hat theilweise über
den Styl des XIV. Jahrhunderts hinaus zu gehn scheint, und
besonders bei den Kapitälen, die sich der Porta della carta nähern,
sehr den plastischen Arbeiten der Familie Bon gleicht. Indessen
finden sich, besonders an der Fagade nach der Riva degli Schia-
voni, auch Kapitäle die anscheinend älter sind, und auch der Um-
stand, dass an jenen jüngern vier Mal dieselben Gegenstände
wie an diesen ältern wiederholt sind, begünstigt die Vermuthung
einer Arbeit in verschiedenen Zeiten. Wie es damit hergegangen,
bleibt zweifelhaft; ein sonst gut tmterrichteter Schriftsteller des
XVI. Jahrhunderts 4') behauptet, dass im Jahre 1423 (also ohne
Zweifel bei demselben Bau, den die Chronik in das Jahr 1424
f] Sansovino in seiner Beschreibung von Venedig S. 119 bis 125.