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Italienische
Gothik.
in dem wesentlichen Umstande, dass die Gallerien nicht tragend,
sondern von dem dahinter liegenden Innenbau überragt waren,
sich nicht geirrt haben. Seine Zeichnung 4') macht es daher wahr-
scheinlich, dass die Gallerien schon damals wie jetzt existirten, und
der Neubau von 1424 nur das Innere des Palastes und den jetzigen
Oberbau betraf. Auch trägt die obere Gallerie selbst Spuren von
Aenderungen, welche darauf hindeuten, das man ihr eine Last auf-
legen wollte, auf die sie nicht berechnet war. Es sind nämlich
da, wo im Oberbau Querwände liegen, Bögen gezogen und zu
ihrer Sicherung die Säulen der untern Gallerie stärker gebildet,
die der obern durch angesetzte Pfeiler verstärkt, die Kreise über
ihnen statt mit durchbrochenem Vierblättern mit Reliefplatten
gefüllt. Eine dieser Querwände trifft sogar auf eine Bogenmitte
und hat nur durch besondres Mauerwerk gestützt werden können.
Wäre der ganze Bau ein zugleich entstandenes Werk, so ist es
kaum denkbar, dass der Meister sich nicht in besserer Weise hätte
helfen können; nimmt man aber an, dass der Oberbau, und zwar
vielleicht noch im Anschlüsse an ältere innere Wände, erst später
den längst bestehenden Gallerien aufgelegt wurde, so ist es ganz
begreiflich
Ueberhaupt giebt diese Annahme die Lösung aller Bäthsel
der Construction. Hätte der Meister von 1424 freie Hand gehabt,
so würde er den Dogenpalast, wenn auch grösser und pracht-
voller, so doch in dem Style und mit der graziösen Leichtigkeit
der bereits längst bestehenden gothischen Privatpaläste Venedigs
gebaut, also auf die unteren Gallerien auch oben eine solche und
zwar, wie es angemessen und in allen beobachtet war, eine leichtere
gesetzt haben. Wenn er dagegen die Aufgabe hatte, das alte Ge-
bäude, Welches den gesteigerten Ansprüchen der Republik nicht
mehr genügte, zu vergrössern und zwar möglichst bedeutend zu
vergrössern, ohne doch die herrlichen Gallerien zu zerstören, so
1') Sie ist nachgebildet in den Mitth. d. k. k. Central-Comm. I. S. 184.
Parker benutzt sie hauptsächlich zur Widerlegung der allerdings gewiss un-
richtigen Annahme seines Landsmannes Ruskin, der den Marcuspalast nicht
bloss für die originale Schöpfung eines einzigen Künstlers, sondern auch für
das Vorbild aller gcthischen Paläste Venedigs erklärt, Will nun aber seiner-
seits den Oberbau in das XVI. Jahrh. setzen, was bei Vergleichung mit
andern venetianischen Bauten der Renaissance gradezu undenkbar ist.