Der
Dogenpalast
Zll
Venedig.
259
sehr wohl sich nur auf einen bestimmten Theil des Palastes be-
zogen haben, Chronisten pflegen nicht so genau zu unterscheiden,
und der architektonische Styl der sichern Arbeit der Familie Bon,
der Porta della carta, weicht zu sehr von dem jener Gallerien ab,
als dass wir auch diese ihnen zuschreiben könnten. Zwar braucht
auch die Porta noch gothische Formen, aber nicht mehr mit vollem
Verständniss, sondern mit einer wenn auch noch unausgebildeten
Hinneigung zur Renaissance, während die Säulenhallen des Pa-
lastes noch ein so bestimmtes gothisches Stylgefühl zeigen, wie
es nur irgend in Italien vorkommt, und sowohl die einfache Glie-
derung der Spitzbögen in der untern Säulenhalle als das edle
Maasswerk der obern sich höchst wesentlich von der Gliederung
und dem Maasswerk der Porta unterscheidet. Auch der Oberbau
des Palastes zeigt dieses gothische Stylgefühl nicht mehr in dem
Grade wie diese Hallen, aber er neigt sich auch noch nicht so zur
Renaissance wie die Porta. Bei ihm wäre es daher sehr wohl
denkbar, dass er von Johannes Bon, dem Vater, der noch aus
älterer Zeit stammte, herrühre, der ihn dann aber nur den Säulen-
hallen des XIV. Jahrhunderts aufgesetzt hätte. Und dafür schei-
nen auch andre Gründe zu sprechen.
Zunächst ist eine auch an sich merkwürdige, durch den eng-
lischen Gelehrten Parker in einem Codex der Bodleyanischen
Bibliothek zu Oxford entdeckte Zeichnung aus dem XIV. Jahr-
hundert zu erwähnen, welche eine Ansicht des Marcusplatzes und
darauf den Dogenpalast in der Art darstellt, dass er zwar zwei
Gallerien hat, die aber kein Weiteres Stockwerk tragen, sondern
nur den Mittelbau bis zu einer gewissen Höhe umgeben, der
dann hinter ihnen mit vielen Giebeln, Thürmchen und Erkern
emporragt. Freilich erscheint derselbe ganz wie eine nordische
Burg, ohne eine Spur italienischen Styls, und auch die Marcus-
kirche des Bildes stimmt sehr wenig mit dem Original überein.
Die Zeichnung ist daher offenbar von irgend einem nordischen
Reisenden nicht an Ort und Stelle, sondern aus der Erinnerung
gemacht. Aber eine solche hat er doch gehabt, die Kuppeln der
Marcuskirche und die berühmten vier Erzrosse auf ihrer Vor-
halle sind, wenn auch ungeschickt gering, angedeutet, und so
wird er auch, obgleich er die architektonische Form vergessen hat
17g