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Italienische
Golhik.
nommen, der nicht einmal durch architektonische Gliederung ge-
brochen, sondern als glatte, bloss durch diagonale Streifen farbi-
ger Steine wrerlig verzierte und mit einer geringen Zahl breiter
Spitzbogenfenster geöffnete Mauer an den Ecken von einem ge-
wundenen Stabe eingefasst und oben durch wenig bedeutende
Zinnen bekrönt ist. Vermöge dieser Einfassung und der ganz
abweichenden Behandlung von den untern Stockwerken völlig
gesondert und zu einem selbstständigen Körper zusammenge-
schlossen, lastet dieser Oberbau wie ein fremdartiger Kubus so
schwer und erdrückend auf jenen Säulenhallen, dass jeder das
Missverhältniss fühlt. Aber eben weil dies so stark und auffallend
ist, kann man es nicht für ein Versehen, sondern nur für eine
Absicht des Meisters halten, deren Kühnheit dem Beschauer im-
ponirt und deren Bedeutung ihn wie ein grosses Räthsel fesselt
und beschäftigt. Unwillkürlich zieht die Phantasie eine Parallele
zwischen diesem Gebäude und der Republik, deren höchste Ge-
walt in ihm residirte , die nicht minder ungewöhnlich und räth-
selhaft, ebenso mächtig und doch wieder mit manchem Bedenk-
lichen behaftet in der Geschichte dastehet. Unzählige haben der
Versuchung nicht widerstanden, den Vergleich weiter auszuma-
len, in jener derben weit geöffneten Säulenhalle des Erdge-
schosses die Naturkraft der Republik, den Reichthum, die Volks-
menge und dann wieder die bequeme Zugänglichkeit des Han-
delsstaates, in den schlanken Säulen und dem künstlichen M aass-
werk der zweiten Gallerie den Adel mit seiner edeln Sitte und
Gewandtheit, als die hervorragendste und anziehendste Erschei-
nung des Ganzen, zu sehn, der dann mit ritterlicher Leichtigkeit
die schwere Last des Staates, das hinter der glatten, spielenden
Aussenseite verborgene Geheimniss seiner Sorgen und Entwürfe
auf seinen Schultern trägtä-u). Das sind Gedankenspiele, die der
betrachtende Reisende sich nicht zu versagen braucht, die aber
schwerlich jemals einen Baumeister bewogen haben werden, sich
von den Wegen seiner Kunst zu entfernen und den Gesetzen der
Schönheit und Eurhythmie entgegen zn handeln. Ist jene Aehn-
lichkeit vorhanden, so muss sie irnwillkürlich, durch Verhältnisse,
nicht durch künstlerischen WVillen herbeigeführt sein.
4') Nicht ganz so, aber ähnlich phantasirt Selvatico p. 1241