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Italienische
Gothik.
eine natürliche Einrahmung jener luftigen Halle des Mittelbaues,
doch so, dass ihre Fenster, welche in einer Flucht mit dieser Halle
lagen, durch ihre Form ihre Beziehung zu derselben ausspracben.
Diese Anlage, welche aus den Verhältnissen und Bedürfnissen
hervorging, blieb im Wesentlichen in der ganzen Blüthezeit Ve-
nedigs dieselbe. Ihre decorative Ausstattung wechselte allerdings
mit den herrschenden Stylen, wurde aber in der gothischen Epoche
in sehr charakteristischer Weise ausgebildet.
An chronologischen Daten für die Entstehungsgeschichte
dieses Palaststyles sind wir arm; selbt der Dogenpalast lässt, wie
wir später sehn werden , erhebliche Zweifel übrig, und für die
Privatpaläste fehlt es an allen Urkunden. Wir müssen uns daher
darauf beschränken, die verschiedenen Gruppen stylistisch ver-
wandter Gebäude dieser Art in eine muthmassliche chronologische
Ordnung zu bringen. Einen Anhalt gewährt uns dabei die N ach-
richt von einem grossen Brande, welcher im Jahre 1112 einen
bedeutenden Theil, wohl ein Drittel, der Stadt, gänzlich zerstörte
und diese verderbliche Ausdehnung dadurch erhielt, dass die
meisten Häuser, selbst die der vornehmeren Bürger, noch über-
wiegend in Holz gebaut waren. Bei einem Schiffervolke und bei
Wasserbauten ist die Vorliebe für dies Material natürlich; man
hatte wohl einzelne Kirchen in Stein und Ziegeln aufgeführt, aber
nur, indem man einen Wald von Pfählen in den Sumpfboden ver-
senkte, wozu man sich bei Privathäusern nicht leicht entscbliessen
konnte. Erst dies unglückliche Ereigniss zeigte (lie Nothwen-
digkeit einer Weniger feuergefährlichen Bauart und nöthigte daher
zur Erfindung einer ausreichenden und doch ureniger kostspieligen
Begründung, die gewiss erst nach wiederholten V ersuchen ge-
lang. Es ist daher wohl möglich, dass sich wie S. Marco und
einige andre kleinere Kirchen, so auch Paläste aus der Zeit vor
diesem Brande erhalten haben, aber es ist doch wahrscheinlicher,
dass die meisten, welche wir besitzen, auch wenn sie auf den
von jenem Brande nicht betroffenen Inseln stehn, erst nach dieser
Verbesserung der einheimischen Bautechnik entstanden sein wer-
den. Selbst die Gruppe von Palastbauteil, welche wir als die
älteste ansehn dürfen, kann unmöglich ganz in die Zeit vor jenem
Brande fallen, besonders da mehrere der ganz oder theilweise