Venedig.
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phantastischen Formen, dass man sie nur durch die Herleitung
von arabischer Architektur erklären zu können geglaubt hat,
Allein es bedarf dessen nicht, sie sind vielmehr ein Erzeugniss
desselben italienischen Geistes, der an andern Orten die bekann-
ten ruhigeren Gestaltungen hervorbrachte, und verdanken ihren
mährchenhaftcn Reiz und selbst eine gewisse Aehnlichkeit mit
maurischen Bauten nur der Eigenthümlichkeit des Ortes und sei-
ner Bewohner
Schon die äusseren Bedingungen für den Palastbau waren
hier ganz andre. Auf dem festen Lande Italiens bedurften die
Vornehmen auch in den Städten ritterlicher Burgen. Es war nicht
bloss die Gewohnheit des eingewanderten Landadels, sondern
auch das Bedürfuiss, sich gegen anstürmende Volkshaufen oder
gegen Ueberfälle fehdelustiger Gegner zu schützen, Welche sie
nöthigte, ihre VVohnungen festungsartig einzurichten. Auf den
Kanälen Venedigs waren Volksaufläufe und Strassenkämpfe nicht
leicht zu fürchten. Auch wurde diese Gefahr durch die Stimmung
der Bevölkerung und durch die Regierungsweise, welche die Ver-
hältnisse herbeiführten, noch mehr beseitigt. Wo das Volk nicht
einmal den festen Boden unter den Füssen, keinen Acker hat, der
ihm seine bescheidenen Bedürfnisse sichert, wo es alles dem
Handel und dem Antheil verdankt, den ihm die reichen und ein-
sichtigen Bürger gewähren, in deren Händen er beruht, wo über-
dies das feuchte Klima, die Unfruchtbarkeit der Sümpfe und die
Eintönigkeit des Anblicks den Reiz des Genusses und die Ver-
gnügungslust steigerten, wo endlich auch die Vertheidigung und
Ausdehnung der städtischen Macht nicht unmittelbar in den Händen
der bewaffneten Volksmenge lag, sondern wohlgerüsteter und
kluggeleiteter Flotten bedurfte, da konnte von Anfang an kein
trotziger, demokratischer Sinn aufkommen, da war vielmehr
Unterordnung unter die Einsichtigen und Mächtigen unvermeid-
Die beiden neuem Werke: P. Selvatico, Sulla architettura e sulla
scultura di Venezia, V. 1847 und Oscar Mothes, Gesch. d. Bank. und Bild-
hauerei Venedigs, Leipzig 1861, sind beide zu empfehlen; jenes genügt für
allgemeinere Anschauungen, dieses enthält schätzenswerthe und genaue Unter-
suchungen. Das ältere Prachtwerk: Le fabbriche piu eonspicue di Venezia.
gewährt bei sehr schwachem Texte nur einige grössete Abbildungen.
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