Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

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Italienische 
Gothik. 
brachen, und es entsteht, wie in andrer Weise im Dome zu Lucca, 
ungeachtet der Rundbögen, durch Durchbrechung und Theilung 
der Wände eine Wirkung, welche der des gothischen Styls viel 
näher verwandt ist, wie die des Doms zu Florenz und andrer ita- 
lienischen Kirchen, bei denen der Spitzbogen und andre gothische 
Details consequenter durchgeführt sind. Ja man kann vielleicht 
noch weiter gehn und behaupten, dass dies Verlassen des gothi- 
sehen Bogens unter den vorliegenden Umständen nicht bloss un- 
schädlich, sondern selbst vortheilhaft War. Schon ganz äusserlieh 
betrachtet passt der Spitzbogen zu diesen grossen Gewölbfeldern 
und zu der geringen Höhendifferenz der Schiffe nicht wohl; er 
wird dadurch spröde und schwerfällig. Noch wichtiger aber ist 
das geistige Verhältniss. Wenn man, wie es in Italien der Fall 
war, das Kirchengebäude nicht selbst als eine That der Andacht, 
als den Ausdruck der gemeinsamen Frömmigkeit, sondern nur als 
den Schauplatz derselben und den Schrein für individuelle künst- 
lerische Stiftungen betrachtet, wird man von ihm zwar Würde, 
Grossräumigkeit, selbst Pracht, aber doch eine gewisse Allge- 
meinheit und Fügsamkeit der Form verlangen, der jener bedeu- 
tungsvolle Bogen widerspricht. Es war daher eine im Sinne der 
Italiener ganz richtige Consequenz ihrer gothischen Studien, wenn 
sie diesen Bogen aufgaben; sie kamen ganz von selbst und ohne 
bewusstes Anlehnen an die Antike zu einer Art Renaissance, und 
es ist merkwürdig, dass dies unmittelbar nach dem Beginne des 
Mailänder Domes, als des äussersten Versuches der Aneignung 
nordischer Gothik und in der Nähe desselben geschah. Man hat 
häufig gezweifelt, Welchem Style man die Kirche der Certosa zu- 
weisen solle. Man hat sie als romanisch oder als der Renaissance 
angehörig bezeichnet. Allein in der That ist sie gothisch, nur 
italienisch-gothisch, nicht ein himmelanstrebender Bau mit dem 
geheimnissvollen Ernst nordischer Münster, sondern ein kirch- 
licher Festsaal, in welchem sich der Glanz der kirchlichen Hand- 
lungen und der dort aufgestellten Schätze günstig entwickeln 
kann, für den aber hier die prunkvolleren Formen des gothischen 
Gewölbebaues gewählt sind. 
Dies alles gilt hauptsächlich vom Langhause; denn die an- 
dern Theile gehören mehr der fortschreitenden Renaissance an.
	        
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