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Italienische
Gothik.
brachen, und es entsteht, wie in andrer Weise im Dome zu Lucca,
ungeachtet der Rundbögen, durch Durchbrechung und Theilung
der Wände eine Wirkung, welche der des gothischen Styls viel
näher verwandt ist, wie die des Doms zu Florenz und andrer ita-
lienischen Kirchen, bei denen der Spitzbogen und andre gothische
Details consequenter durchgeführt sind. Ja man kann vielleicht
noch weiter gehn und behaupten, dass dies Verlassen des gothi-
sehen Bogens unter den vorliegenden Umständen nicht bloss un-
schädlich, sondern selbst vortheilhaft War. Schon ganz äusserlieh
betrachtet passt der Spitzbogen zu diesen grossen Gewölbfeldern
und zu der geringen Höhendifferenz der Schiffe nicht wohl; er
wird dadurch spröde und schwerfällig. Noch wichtiger aber ist
das geistige Verhältniss. Wenn man, wie es in Italien der Fall
war, das Kirchengebäude nicht selbst als eine That der Andacht,
als den Ausdruck der gemeinsamen Frömmigkeit, sondern nur als
den Schauplatz derselben und den Schrein für individuelle künst-
lerische Stiftungen betrachtet, wird man von ihm zwar Würde,
Grossräumigkeit, selbst Pracht, aber doch eine gewisse Allge-
meinheit und Fügsamkeit der Form verlangen, der jener bedeu-
tungsvolle Bogen widerspricht. Es war daher eine im Sinne der
Italiener ganz richtige Consequenz ihrer gothischen Studien, wenn
sie diesen Bogen aufgaben; sie kamen ganz von selbst und ohne
bewusstes Anlehnen an die Antike zu einer Art Renaissance, und
es ist merkwürdig, dass dies unmittelbar nach dem Beginne des
Mailänder Domes, als des äussersten Versuches der Aneignung
nordischer Gothik und in der Nähe desselben geschah. Man hat
häufig gezweifelt, Welchem Style man die Kirche der Certosa zu-
weisen solle. Man hat sie als romanisch oder als der Renaissance
angehörig bezeichnet. Allein in der That ist sie gothisch, nur
italienisch-gothisch, nicht ein himmelanstrebender Bau mit dem
geheimnissvollen Ernst nordischer Münster, sondern ein kirch-
licher Festsaal, in welchem sich der Glanz der kirchlichen Hand-
lungen und der dort aufgestellten Schätze günstig entwickeln
kann, für den aber hier die prunkvolleren Formen des gothischen
Gewölbebaues gewählt sind.
Dies alles gilt hauptsächlich vom Langhause; denn die an-
dern Theile gehören mehr der fortschreitenden Renaissance an.