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Italienische
Gotllik.
sammengefasst, doch nicht ganz auf derselben Horizontallinie,
sondern die der Kapellen niedriger stehn, wodurch eine nach der
Mitte ansteigende, die breite Horizontale brechende und auf das
Radfenster als die höchste Zierde und den Centralpunkt hinlei-
tende Bewegung hervorgebracht wird. Die gesammte Anordnung
ist so harmonisch und schön, dass sie den lombardischen Fehler
der allerdings fast unförmlichen Breite völlig vergessen lässt, und
dabei die Ausführung der Ornamente von so grosser Feinheit
und Schärfe und so geschmackvoll, dass man gern dabei ver-
weilt. Eierstäbe, Zahnschnitte, Blumengewinde, die dabei vor-
kommen, deuten hier schon auf eine Empfänglichkeit für antike
Ornamentik, die wir also hier, da wir keine Ursache haben die
Facade für bedeutend später zu halten, gleichzeitig mit der stren-
gen, fast romanischen Tendenz des lnneren antreffen und daraus
schliessen können, dass auch bei dieser die Absicht sei, sich von
den specifisch gothischen Formen, so weit sie hier zur Herr-
schaft gelangt waren, mehr ab- und einfacheren Ordnungen zu-
zuwenden.
Um so auffallender ist denn, dass noch einige Jahre später,
im Jahre 1385, ein Gebäude gegründet und begonnen wurde,
Welches nun völlig Ernst mit der Einführung nordischer Gothik
machen zu wollen schien, der Dom zu Mailand. Es war frei-
lich nicht der Beschluss einer Commune oder der Rath berühmter
einheimischer Künstler, welcher dahin führte, sondern die Pracht-
liebe eines emporgekommenen Fürsten, der nach der gewöhn-
lichen Politik dieser Herren durch glänzende bauliche Stiftungen
die öffentliche Meinung zu bestechen suchte. Im Jahre 1385
als Gebieter von Mailand anerkannt, beschloss Johann Galeazzo
Visconti an Stelle der alten bischöflichen Kirche, seiner Stadt eine
neue glänzende Kathedrale zu schenken; schon am 23. Mai wurde
der Grundstein gelegt und sofort der Bau mit Eifer begonnen "H.
Wer den Plan entworfen, ist unbekannt, indessen lässt der Er-
folg nicht daran zweifeln, dass Johann Galeazzo, sei es in Bewun-
m) Die Nachrichten nach ältern Schriftstellern hat Cicognara (Prato 1823)
II. 177 5., die Resultate der neueren Forschungen (Oonte Ambrogio Nava,
Memorie e documenti storici intorno all" origine del duomo di Milano, M. 185i]
Ric-ci II. p. ff. ziemlich gut zusammengestellt.