Orsanmichele.
211
bildet. Das Ganze ist mit so richtigem Takt und feinem Gefühl
ausgeführt, dass diese Inconsequenz keineswegs verletzt; aber
man sieht doch, dass dieser Meister von der Freiheit der Wahl
zwischen beiden Bogenarten, auf welche ;auch seine Vorgän-
ger nie verzichtet hatten, den allerausgedehntesten Gebrauch
machte.
Ohne Zweifel stand er damit nicht allein, und wenn man
ein Mal so weit gekommen War, musste man nothwendig bald
einen Schritt weiter gehn. Denn, hatte der Spitzbogen auch nicht
einmal mehr den Schein einer constructiven Regel, von der man
nur ausnahmsweise abwich, so war er nichts als eine, und zwar
eine etwas bizarre decorative Form, die sich für die Anwendung
in grossen Verhältnissen, also für die eigentliche Architektur,
nicht sehr empfahl, wenn man sie auch für kleinere Zierwerke
beibehielt. Und so scheint es sich wirklich bei den Künstlern von
Florenz, namentlich bei einem sehr ausgezeichneten, dem berühm-
ten Maler und Bildhauer Andrea di Cione, genannt Orcagna,
gestaltet zu haben. Das eine der beiden weltbekannten floren-
tiner Bauwerke, an denen seine Betheiligurlg feststeht, das Kirch-
lein Orsanmichele (S. Michele in Orto"") war kein völliger
Neubau, sondern hat eine ältere, schon an sich nicht unin-
teressante Geschichte. Im Jahre 1284 wurde nämlich der in der
Mitte der Stadt gelegene und als Kornmarkt dienende Platz ver-
schönert, gepflastert und mit einer offenen Halle versehn, die aber
wahrscheinlich nur von Holz war, da sie im Jahre 1304 ab-
brannte. 1308 wurde sie neu gebaut und nun von frommen Bür-
gern mit Bildern der Jungfrau Maria und des h. Michael ge-
schmücktgä). Im Jahre 1336 beschloss jedoch die Republik,
d) Kugler Baukunst III. 553 u. A. wollen das „Or" als Abkürzung von
Horreum betrachten. Allein in sämmtlichen Urkunden des XIV. Jahr-
hunderts heisst die Stelle: S. Michele in Orto; es war ursprünglich ein
Wiesenplatz, der zum öffentlichen Gebrauche diente. Auch war selbst das
Gebäude von 1284 nach Vasari (I. 250) und Gio. Villani (lib. VII. cap. 98)
noch kein Kornspeicher. Dass übrigens dieser Bau von 1284 von Arnolfo
bei-rühre, wie Vasari behauptet, ist mehr als unwahrscheinlich.
Hi) Für den Brand von 1304 Villani Iib. VIII. cap. 61, für den Wieder-
aufbau von 1308 Gaye I. S. 448. Für den weitem Hergang sind die Nach-
richten bei Gaye I. S. 4B ff. zusammengestellt.
14'"