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Italienische
Gothik.
schmückung und führte denselben mit steigender Begierde und
mit den grössesten Opfern durch. Es konnte keinem Zweifel
unterliegen, dass die Pracht und selbst die räumliche Ausdehnung
der Kirche ein Luxus waren, der die materiellen kirchlichen Be-
dürfnisse weit überstieg; aber irgend einen Gegenstand des Ruh-
mes zu haben, war ein Bedürfniss der italienischen Städte, und
grade weil es dem kleinen Orvieto an Handelsreichthum und po-
litischer Bedeutung gebrach, wurde ihm die Kathedrale, wie sich
die Regenten der Stadt in einem officiellen Schreiben ein Mal
ausdrücken, "Ehre, leuchtender Spiegel und Zierdeiuß). Allein
die künstlerischen Kräfte Für s0lch' ein Unternehmen besass sie
nicht, und wahrscheinlich war es eine Wirkung des Rufes, den
die damals emporsteigende IPaeade von Siena erlangte, dass man
sich nicht nach Rom, solidem nach jener entfernteren Stadt
wendete. Nicht bloss Lorenzo Maitani, welcher dem Bau auch
nach 1310 noch lange Vorstand, sondern auch die meisten seiner
Vorgänger und Nachfolger stammten aus Siena, so dass die
Stadtbehönle von Orvieto selbst noch spät, als der Bau seiner
Vollendung entgegenrückte, es offen aussprach, dass ihre Kathe-
drale von den Fundamenten an das Meiste den Künstlern von
Siena verdankew").
Die Anlage ist einfachster Art. Ein dreischiffiges Lang-
haus mit ziemlich niedrigen SeiteuscbiHen, schlanke Rundsäulen
mit kleinen Blattkapitälen, halbkreisförmige Scheidbögen, ein
kräftiges Horizontalgesims, zweitbeilige spitzbogige Ober-
lichter mit schwachem Maasswerk, aber kein Gewölbe, son-
dem durchweg der offne Dachstuhl. Dann der Querarm, der,
abgesehen von zwei auf beiden Seiten anstossenden, aber nur
durch ein Portal mit der Kirche verbundenen Kapellen, nicht über
die Flucht der Seiteuschilfe hinanstritt, aber von Mittelschiffhöhe
und gleich dem quadraten Chore überwölbt ist. Die ganze An-
lage ist also mehr basilikenartig als gothisch, und die Nichtanwen-
Ü Im Schreiben vom 12. Mai 1409 an die Signoria von Siena bei
Milanesi II. quae est hujus civitatis honor, speculllm atque decus.
u] Vestri civeS in honore eximio magistratus tam incliti operis obtineant
principatum a primordio fundamenti. So in dem eben vitirten Schreiben
vom 12. Mai 1409.