Der
Dom
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Orvieto.
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Endlich ist auch noch der Campanile zu erwähnen (derselbe
welcher, wie wir oben gesehn haben, mit dem Abbruch bedroht
war), weil er, obgleich unverjüngt und senkrecht aufsteigend, in
seinen sieben Stockwerken eine conseqnente Verminderung der
Mauermasse durch stets zunehmende Vermehrung der Fenster-
öffnungen und somit eine lcbendigere Bewegung und Verjüngung
zeigt, als die meisten italienischen Thürme.
Engverwandt dem Dome zu Siena, und namentlich in der
Pracht der Facade mit ihm wetteifernd, ist der von Or vietoii),
der auch dadurch merkwürdig ist, weil er die Baulust und Pracht-
liebe der italienischen Städte dieser Zeit im hellsten Lichte zeigt
Orvieto gehörte unter ihnen keinesweges zu den mächtigen oder
auch nur zu den völlig selbstständigen; es bildete einen Theil des
Kirchenstaates und war durch seine eigenthümliche Lage auf dem
Rücken eines von tiefen Schluchten umgebenen isolirten Felsens
in mancher Beziehung an weiterer Entwickelung gehemmt. Da-
zu kam, dass eben diese Lage den Transport des Marmors be-
deutend erschwerte und vertheuerte. Dennoch fasste auch diese
Commune bei vermeintlichem oder wirklichem Verfall der alten
Kathedrale M), den Plan einer Vcrgrösserung und reicheren Aus-
Vergl. darüber das grosse Werk des Padre della Valle (Storia del
duomo di Orvieto Roma 1791 foL], das freilich die Architektur nur in vier
malerischen Blättern schildert und auch sonst nur unvollkommene Abbildungen
enthält, aber doch nur in Beziehung auf die Sculpturen der Facade durch
Gruner's später anzuführendes Werk ersetzt ist. Es enthält überdies zahlreiche,
wenn auch nicht immer zuverlässige Forschungen und eine Reihe von Urkunden.
u] Die meisten Schriftsteller halten den Dom von Orvieto für einen
völligen Neubau; das war er aber nicht. In dem Beschlüsse der Commune
vom J. 1310, in welchem sie die Verdienste des Lorenzo Maitani als Gründe
für die ihm zu verleihenden Rechte anführt, heisst es: Venit ad civitatem
[Irbevetanam ad reparandam ipsam fabricam (majoris eeclesie], que
quasi minabatur ruinam, et ad hedificandam eandem: quam ut repa-
ravit et hedificavit in conspectu populi evidenter apparet. Es ist nöthig,
dies festzuhalten, um die Formen des Baues richtig zu würdigen. Lorenzo,
Sohn eines Meisters Vitalis, war um 1'275 zu Siena geboren. Er kann daher
am Dome zu Orvieto nicht schon seit 1290 gearbeitet haben, war aber, wie
die Urkunde von 1310 ergiebt, schon lange vorher dabei zu Rathe gezogen
und hatte dann den Bau selbst geleitet. Man muss hiernach auch annehmen,
dass die Grundsteinlegung im J. 1'290 noch nicht unmittelbar den Anfang
des Baues zur Folge gehabt habe.