Marmor
und
Backstein.
147
Ausschlag gaben, steigerten den Ehrgeiz und führten dahin, die
Kunst als einen Gegenstand rationeller Ueberlegung und indivi-
dueller Kraft erscheinen zulassen, sie vom Herkommen zu be-
freien, und da man bei solchen Berathungen gern auch berühmte
Meister aus entfernten Gegenden Italiens herbeirief, die etwa noch
bestehenden provinziellen Verschiedenheiten zu verwischen und
die Kunst als eine gemeinsame Aufgabe des ganzen Landes dar-
zustellen.
Selbst die Verschiedenheit des zu Gebote stehenden Materials
begründete keine besonderen Schulen. In Deutschland, wo die
Construction sich nach dem Material richtete und aus ihr wiederum
die ganze ornamentale Haltung hervorging, sind die Länder des
Ziegelbaues von denen des Steinbaues scharf geschieden. In
Italien blieb die Construction überall dieselbe und höchstens die
ihr anzuheftentle Decoration wurde einigermaassen verändert,
wenn man keinen Marmor in der Nähe hatte und sich aus Spar-
samkeit auch für das Aeussere des Backsteines bediente. Wir
haben schon bei Betrachtung des Facadenstyles gesehen, dass dies
keineswegs ungünstig wirkte; die Meister Waren gegen die Ver-
suchung des blossen Farbenspiels mit edeln Steinen oder der Ueber-
latlung mit plastischen WVerken geschützt und genöthigt, sich
strenger an eigentlich architektonische Motive zu halten. Allein,
wenn gleich ausgezeichnete Backsteinbauten dieser Art in der
Lombardei am häufigsten vorkommen, entstand daraus kein
eigenthümlicher und am wenigsten ein provinzieller Styl. Denn
auch den lombardischen Städten, denen es an Marmor fehlte, Waren
die Brüche nicht so entfernt und die Mittel nicht so beschränkt,
dass man nicht bei einzelnen luxuriös ausgestatteten Bauten sich
die Pracht dieses edeln Stoifes gestattet hätte, und andrerseits
hatte man auch in den marmorreiehen Gegenden schon aus römi-
scher Zeit her die Uebung des Backsteinbaues nie ganz aufge-
geben nnd ihn daher immer gelegentlich bei sparsamer bedachten
Unternehmungen angewendet. Ueberdies aber war auch an den
ganz in Stein gebauten XVerken die Ornamentation keineswegs
so sehr aus dem Material hergeleitet, dass ihre [Tebertragung auf
den Backsteinbau erhebliche Aenderungen gefordert hätte. Ein
durchgreifender stylistischer Unterschied entstand daher überall
104i