Mangel
chronologischer
Entwickelung.
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nur eine Fülle des Anziehenden und Schönen, sondern auch selbst
trotz mancher Verstösse gegen architektonische Consequenz und
organische Verbindung in der durchgehend gleichen Stimmung
ein verbindendes, eine geistige Harmonie hervorbringendes Ele-
ment entdecken.
Der gothische Styl in Italien hat, obgleich er sich fast zwei-
hundert Jahre erhielt, doch keine Entwickelung und daher keine
Geschichte. Die Veränderungen, die er erlitt, sind untergeordneter
Art, ja eigentlich nur der Anfang des frühen Verfalls. Die ersten
Meister bedienten sich seiner vorzugsweise als eines Mittels regel-
mässiger, fester und sparsamer Construction, adoptirten daher nur
seine wesentlichen Züge und hielten sich in den Grenzen edeler
Einfachheit und Anmuth. Die Späteren, theils um ihre Vorgänger
zu überbieten, theils unter dem Einflusse der prunkenden conven-
tionellen Sitte des XIV. Jahrhunderts häuften die gothischen Zier-
formen allzusehr und verfielen, da sie ihre constructive Begrün-
dung nicht verstanden und sie nach italienischem Geschmack etwas
derber bildeten, in Schwrerfälligkeit und Ueberladung, Welche da-
durch um so stärker wurde, dass antike Traditionen sich immer
noch erhielten und dazu verleiteten, Bestandtheile des Architrav-
baues mit denen des verticalen Systems zu verbinden 11). Dies
alles erzeugte dann eine Beaetion; man strebte aus dieser Ueber-
ladung nach einfacheren Formen, verhielt sich aber dabei ver-
schieden. Denn während einige Meister zu diesem Zwecke sich
mehr den altitalischen Traditionen zuwendeten, was schliesslich
zur Renaissance führte, begnügten sich andre mit einer Ver-
einfachung des mittelalterlichen Styls ohne Verläugnung seiner
Diese beständige Mischung beider Bausysteme lässt sich auch in den
Urkunden nachweisen. So heisst es in einem Oontracte der Commune zu Arezzo
mit dem Meister Agostiuo von Siena v. J. 1333 über den Bau einer Kapelle
an der Pieve, er solle, zwei vorhandene Säulenstämme benutzend, Marmorkapitäle
dazu machen und darauf legen "uns. pietra dimarmo ehe se chialna architrave
Und fast um dieselbe Zeit (1336) contrahiren die Operarii des Domes von
Siena mit einem Meister Bessuccius über 60 gargollas sive lapides actas ad
Inodum animalium. Sie haben also selbst des französische Wort "gargouille"
adoptirt, und die Kunstausdrücke beider Style bestehen ruhig neben einander.
BeideUrkunden bei Miianesi, Documenti.
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