134
Italienische
Gothik.
In allen andern gothischen Bauten Italiens zeigt sich eine Kennt-
niss der spätern Entwickelung dieses Styls in den nordischen
Ländern, welche die Meister aus andern Quellen geschöpft haben
mussten. Aber in vielen Beziehungen blieb doch die Auffassung
des Meisters von Assisi maassgebend; er hatte den richtigen Ton
getroffenund die Grenzen, innerhalb welcher die italienische Auf-
fassung stehen bleiben müsse, mit fester Hand bezeichnet.
Der unbedingten Einführung dieses Styls standen denn doch
Gründe aller Art entgegen. Zunächst äusserliche; die alte und
klimatisch berechtigte Gewohnheit flacher Dächer, die herge-
brachte und dem Zwecke genügende 'l'rennung des Glockenthurms
von der Kirche, ferner der Reichthum edeln Marmors, Welcher
durch die tiefen Schatten gothischer Gliederung an seinem Glanze
verloren haben würde und sich zu flachen Verzierungen eignete,
und endlich die damit zusammenhängende Gewöhnung an einen
Farbenwechsel in horizontalen Lagen. Dazu kam dann aber das
wichtigere innere Hinderniss einer ganz andern Geschmacksrich-
tung. Die fast pedantische Consequenz statischer Entwickelung
eignete sich nicht für diesen heitern Himmel und das leichtlebende
Volk dieses Landes. Während die Meister der französischenSchule
vor Allem nach constructiver Wahrheit strebten und die ästhe-
tische Wirkung von ihr erwarteten, betrachtete der Italiener die
Form sogleich als Ausdrucksmittel und sonderte die Schönheit von
der statischen N othwendigkeit. Während jene dem Beschauer
zumutheten, den Gliederungen im Einzelnen zu folgen, um so den
Eindruck des Ganzen zu gewinnen, wollte dieser ohne Aufenthalt
geniesseu und forderte daher einfache, leicht fassliche Verhältnisse.
Während man dort die Stützen häufte, um. sie möglichst leicht, die
Räume beschränkte, um sie hoch und schlank bilden zu können, die
Fenster weit öffnete, um das Licht zu mehren, forderte das süd-
liche Gefühl breite, bequeme Räume, schattende Mauern und kleine
Fenster, die das Eindringen der Sonne verhindern. Allen diesen
sind, wo diese fehlt und sie daher auf dem Boden ruhn. Dass sie "bloss des
Abhanges wegen enichtet" seien, wie Burckhardt, Gicerone S. 130, annimmt,
passt höchstens auf eine Seite, da auf der andern eine ebene Strasse liegt, und
auch da ist der Abhang nur der Basis der Strebebögen, nicht dem Gebäude
nahe, so dass es dieses sonderbaren Mittels nicht bedurfte.