Viertes
Kapitel.
Der
gothische
Styl
in
Italien.
schon aus architektonischen Gründen wäre es sehr begreif-
lich gewesen, wenn die Italiener sich der nordischen Baukunst
mehr angeschlossen, und so allmälig auch den golhischen Styl
als ihre consequenteste Form angenommen hätten. Es war aber
auch die Zeit, wo die ritterlich-poetische und die religiöse Be-
geisterung im ganzen Abendlande ihren Höhepunkt erreicht
hatte, wo auch die bisher kühlen Italiener sich nach provenza-
lischen Vorbildern poetisch begeisterten , Wo die fromme Liebes-
gluth des h. Franciscus, die begeisterte Predigt der Jünger des
h. Dominicus unzählige Herzen entzündeten, und die Gründung
neuer Klöster an allen Orten die Opferbereitwilligkeit anregte und
grade diese Bauthätigkeit als ein gottgefalliges Werk erscheinen
liess , wo endlich auch hier, wie es vor etwa hundert Jahren in
der Anfangszeit der Kreuzzüge in Frankreich geschehen war,
Personen aller Stände und Geschlechter selbst Hand anlegten, um
durch fromme Hülfsleistungen sich den Himmel zu verdienen
Sollte man da nicht fühlen, dass die bisherigen Formen der Ar-
chitektur, das ruhige Gleichmaass antiker Säulenstellungen, die
liebenswürdige aber doch nur weltlich heitere Anmuth der tos-
canischen Bauten, die kraftstrotzende, abenteuerliche Fülle und
WVillkür der lombardischen, dieser Stimmung nicht genügten?
i) Die Chronik von Reggio, bei Muratori Scr. VIII. 1107, erzählt von
dem Bau der Dominicaner im J. 1233: Ad praedictllm opus faciendum ve-
niebant homines 8c mulieres Reginorum, tam parvi quam magni, tam milites
quam pedites, tam rustici quam cives, ferebant lapides, sablonem 82; calcinam
super dorsa eorum et in pellibns variis et cendalibus. Et beatus ille qui plus
portare poterat, 8: fecerunt omnia fundamenta domorum et Ecclesiae et partem
muraverunt.