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Italienische
Architektur.
Material benachbarter Steinbrüche angewiesen, hatten dabei aber
den Vorzug, mehr aus dem Vollen zu arbeiten und in der Wahl
der Formen unbeschränkter zu sein. Dazu kam dann das Klima
mit seinen grösseren Ansprüchen an Zweckmässigkeit und Soli-
dität der Construction, und besonders endlich die Stimmung der
Bevölkerung. Statt jener südlichen Sorglosigkeit, die im Genusse
des Tages lebt und die Mühe künstlicher Constructionen scheut,
war hier unter steten hartnäckigen Kämpfen bei dem früh erwach-
ten Streben nach politischer Selbstständigkeit ein ernsterer Sinn
gebildet, der mehr für Grossartiges und Kühnes, als für heitere
Anmnth empfänglich war. Dieser grössere Ernst hing zusammen
mit der stärkeren Beimischung germanischen Blutes und wurde
durch den steten Verkehr mit den angränzenden Ländern genährt.
Dazu kam denn endlich, dass die Maurer und Bauleute, deren sich
die Städte bedienten, grosserltheils von dem äussersten Nordrande
Italiens, aus dem Alpenlande von Como und Lugano stammten
und diese nordischen Einflüsse in stärkerem Maasse hatten;
Schon in den Gesetzen der longobardischeil Könige kommen
„Magistri comacini" als Genossenschaften von Steinmetzen und
Baumeistern vor, und noch im XIII. und XIV. Jahrhundert stam-
men die meisten Baumeister in der Lombardei, deren Ursprung die
Inschriften angeben, aus dieser Gegend. Wir ersehn also, dass
die Bewohner dieser 'l'l1äler vorzugsweise dies Gewerbe übten und
dafür anerkannt und gesucht waren k), und wir finden sie so sehr
im Besitze derselben, dass sie in vielen Fällen die Vollendung der
ihnen übertragenen Bauten für sich und ihre Erben stipuliren
durften WF). Es ist also ein ähnlicher erblicher Betrieb wie bei den
i") In Siena bilden noch im Jahre 1473 die Maestri Lombardi, unter
deren Vorstehern einer als aus Lugano bezeichnet ist, eine besondere Ge-
nossenschaft innerhalb der grossen Zunft der Steinmetzen. Milanesi, Do-
cumenti I. S. 126. Auch sonst und bis in das XIV. Jahrh. hinein weisen
die Insehriften (in Pisa im Baptisterium, in Pistoja u. s. w.) solche Comasken
in Toscana nach.
w") In Modena schlossen die Vorsteher des Dombaues mit dem Meister
Anselm aus Campilione in der Diöcese von 00m0 (am Luganer See, auch
Campiglione, Campione genannt] einen Vertrag, wonach er selbst und jeder
von ihm abstammende Meister am Dombau lebenslänglich gegen einen Tage-
lohn von 6 Imperialien beschäftigt werden solle (Tiraboschi, Memorie storiche